15 Gruselstories
aufgeschwemmte graue Gesicht des kleinen, dicken Mannes, der ständig in der Eingangshalle zu sitzen schien, wurde ihm allmählich genauso vertraut wie das ganze verstaubte Wachsfigurenkabinett selbst.
Er stellte fest, daß sich in dieses Museum nur wenige Besucher verirrten, und fand heraus, daß der Nachmittag die günstigste Zeit für seine Anbetung war.
Denn es war Anbetung, was er betrieb!
Er konnte lange Zeit schweigend vor der geheimnisvoll lächelnden Figur stehen und verzückt in ihre Augen starren, die eine unnatürliche Grausamkeit ausdrückten. Manchmal murmelte er einige Zeilen der Verse, die er sich nachts abgerungen hatte; manchmal stammelte er Liebesbeschwörungen in ihre wächsernen Ohren. Doch die rothaarige Salome starrte nur stumm zurück. Sie nahm sein Delirium lediglich mit einem unergründlichen Lächeln zur Kenntnis. Es war seltsam, aber bis zu dem Tage, an dem Bertrand mit dem kleinen, fetten Mann ins Gespräch kam, war er nie auf den Gedanken gekommen, sich über seine Angebetete eingehender zu informieren. Eines Tages schlurfte der unförmige grauhaarige Mann durch die Dämmerung auf Bertrand zu und stellte sich neben ihn.
Er unterbrach Bertrands Träumereien so unsanft, daß unser liebeskranker Poet erschrocken zusammenfuhr und den Störenfried mißbilligend anschaute.
»Ganz hübsch, nicht?« begann der Grauhaarige das Gespräch. Er hatte jene vulgäre Stimme, die solch gefühllosen Tölpeln im allgemeinen zu eigen ist. »Ich habe sie nach dem Ebenbild meiner Frau geformt, müssen Sie wissen.«
Seiner Frau! Dieses hinreißende Wesen sollte die Frau dieses armseligen fetten Würstchens sein? Bertrand glaubte nun wirklich, den Verstand zu verlieren; doch die folgenden Worte des Alten beruhigten ihn wieder ein wenig.
»Natürlich vor vielen Jahren, müssen Sie wissen …«
Bertrand holte tief Luft. Es gab sie also wirklich! Sein Herz begann wie rasend zu hämmern. Sie lebte. Sie atmete. Sie existierte … »Ja – vor vielen Jahren … aber sie ist natürlich schon lange tot, müssen Sie wissen …«
Tot! Gestorben! Unerreichbar wie eh und je! Für ihn blieb nichts als diese leblose wächserne Hülle …
Bertrand fühlte den unwiderstehlichen Drang, mit diesem fetten Alten zu reden. Er mußte alles aus ihm herausholen. Es gab so vieles, was er wissen mußte. Doch er brauchte es gar nicht aus dem anderen »herauszuholen«, denn die Einsamkeit hatte den kleinen Mann geschwätzig gemacht. Er redete mit seiner gewöhnlichen Stimme unaufgefordert weiter.
»Ist mir ganz gut gelungen, nicht?« fragte er stolz und legte den Kopf zur Seite. Bertrand fand den Blick, mit dem der Alte die Wachsfigur betrachtete, ausgesprochen widerwärtig. Denn der andere nahm nicht die Schönheit der Frau wahr, sondern erfreute sich nur an der Figur, die er geschaffen hatte. Er bewunderte nicht die Frau, sondern das Wachs. »Mein bestes Stück«, murmelte er selbstzufrieden.
Und zu denken, daß er sie einst besessen hatte …
Die Herzlosigkeit des Mannes erregte Bertrands Übelkeit. Doch der Alte schien das nicht zu bemerken. Er überschüttete Bertrand mit einem Wortschwall, wobei seine flinken Augen unablässig zwischen der Statue und Bertrand hin- und herwanderten.
Monsieur scheine sich für das Museum sehr zu interessieren, wie? Monsieur sei ein sehr eifriger Besucher … Alles gute Arbeit, wie? Er, Pierre Jacquelin, hätte jedes Stück selbst angefertigt. O ja, er hätte in den letzten acht Jahren das Wachsfigurengeschäft weiß Gott erlernt. Mitarbeiter wären ihm immer zu teuer gewesen; er hätte sie sich darum nicht leisten können. Und darum hätte er alles
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