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15 Gruselstories

15 Gruselstories

Titel: 15 Gruselstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Bloch
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ein Mann nachts träumt.
    Bert­rands Au­gen hef­te­ten sich an die sicht­ba­ren Vor­zü­ge der Da­me, aber sein poe­ti­sches Ge­fühl muß­te für die­se Vor­zü­ge ro­man­ti­sche Ver­glei­che fin­den. Dem­nach glich ihr herr­li­ches kas­ta­ni­en­brau­nes Haar ei­ner kar­me­sin­ro­ten Wol­ke, ihr lä­cheln­des, schma­les Ge­sicht der Mas­ke ei­ner Zau­be­rin, und ih­re star­ren blau­en Au­gen gli­chen zwei Tei­chen, in de­nen je­de See­le ver­sin­ken muß­te. Ih­re halb­ge­öff­ne­ten Lip­pen schie­nen Sinn­lich­keit zu ver­hei­ßen. Sie trug ein hauch­dün­nes, mit Stei­nen be­setz­tes Kleid, das nur da­zu diente, die Schön­heit ih­res vollen­de­ten wei­ßen Kör­pers zu un­ter­strei­chen.
    Sie war bei ge­nau­er Be­trach­tung schon ei­ne sehr hüb­sche rot­haa­ri­ge Frau – aber sie war aus Wachs. Sie war aus dem­sel­ben ge­wöhn­li­chen Wachs wie zum Bei­spiel Jack the Rip­per ge­formt. Sie stand auf Ze­hen­spit­zen und hielt in ih­ren aus­ge­streck­ten Hän­den ei­ne sil­ber­ne Scha­le. Sie stand vor Kö­nig He­ro­des Thron. Denn sie war Sa­lo­me, die wei­ße He­xe mit den sie­ben Schlei­ern.
    Bert­rand starr­te in ihr ver­derb­tes ova­les Ge­sicht. Ih­re Au­gen schie­nen sei­nen Blick leicht be­lus­tigt zu­rück­zu­ge­ben. Er glaub­te noch nie ein We­sen ge­se­hen zu ha­ben, das so schön war und ihm gleich­zei­tig sol­chen Schre­cken ein­flö­ßte. In der Scha­le, die ih­re schlan­ken Hän­de um­faß­ten, ruh­te in ei­ner Blut­la­che das Haupt von Jo­han­nes dem Täu­fer.
    Bert­rand war un­fä­hig, sich von der Stel­le zu rüh­ren. Er starr­te nur im­mer die Frau an. Ihn über­kam das wun­der­li­che Ver­lan­gen, die­se Frau an­zu­spre­chen. Ihr muß­te sein stum­mer, glot­zen­der Blick fle­gel­haft vor­kom­men, denn ihr Ge­sicht schi­en Spott aus­zu­drücken. So re­de doch end­lich! for­der­ten ih­re star­ren Au­gen.
    Und er woll­te re­den. Er woll­te ihr sa­gen, daß er sie lieb­te.
    Die­se blitz­ar­ti­ge Er­kennt­nis traf Bert­rand wie ein Peit­schen­hieb. Er lieb­te sie! Er lieb­te sie mit ei­ner plötz­li­chen Lei­den­schaft, die jen­seits al­ler Vor­stel­lun­gen lag. Er be­gehr­te die­se Frau, die doch nichts wei­ter war als ei­ne Wachs­fi­gur. Ihr An­blick ver­ur­sach­te ihm einen fast kör­per­li­chen Schmerz, der sich ins schier Un­er­träg­li­che stei­ger­te, als ihm klar zum Be­wußt­sein kam, daß sie völ­lig un­er­reich­bar war.
    Das war schon mehr als ei­ne Iro­nie des Schick­sals: Er hat­te sich un­s­terb­lich in ei­ne Wachs­fi­gur ver­liebt!
    Er muß­te wahr­lich ver­rückt sein! Aber ir­gend­wie fand un­ser Dich­ter Bert­rand das Gan­ze auch wie­der un­ge­mein ro­man­tisch. Welch ge­wöhn­li­chem Sterb­li­chen wi­der­fuhr schon so et­was?
    Es gab na­tür­lich ei­ni­ge ähn­lich ge­la­ger­te Fäl­le in der Mensch­heits­ge­schich­te. Er hat­te schon von meh­re­ren ef­fekt­voll auf­ge­bausch­ten Va­ria­tio­nen die­ses The­mas, das so alt wie Le­da und der Schwan war, ge­hört.
    Aber Bert­rand stell­te mit ei­ner ge­wis­sen Ver­zweif­lung fest, daß es ihm gar nichts nütz­te, sich die­se Ge­schich­ten ins Ge­dächt­nis zu ru­fen. Er lieb­te die­se Frau. Er lieb­te ih­re Schön­heit und das Grau­en, das von ihr aus­ging. Und er wür­de sie für al­le Zei­ten lie­ben. Un­ser Dich­ter Bert­rand ge­hör­te nun ein­mal zu die­ser Ka­te­go­rie von Poe­ten!
    Als er wie er­wa­chend sei­nen Blick von ihr lös­te, stell­te er mit Er­stau­nen fest, daß der dich­te Ne­bel hin­ter den Fens­tern ver­schwun­den war und daß sich statt des­sen ein paar zag­haf­te Son­nen­strah­len ih­ren Weg in die­sen düs­te­ren, ge­spens­tisch an­mu­ten­den Raum bahn­ten. Wie lan­ge moch­te er hier ge­stan­den ha­ben?
    Nach­dem Bert­rand einen letz­ten see­len­vol­len Blick auf den Ge­gen­stand sei­ner An­be­tung ge­wor­fen hat­te, wand­te er sich ab.
    »Ich kom­me wie­der«, flüs­ter­te er. Dann er­rö­te­te er schuld­be­wußt und has­te­te durch die Hal­le auf die Tür zu, die ins Freie führ­te.
     
    Und er kam wie­der. Am nächs­ten Tag, am über­nächs­ten Tag und an den dar­auf­fol­gen­den Ta­gen.
    Das

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