15 Gruselstories
gewisse Genugtuung. Ich wollte meine Frau in Wachs haben! Sie sollte hier stehen, um mich immer an mein verpfuschtes Leben zu erinnern, an meine Liebe und an ihr Verbrechen.
Aber das ist alles schon so lange her. Die Welt hat es vergessen, und ich denke auch seit langem nicht mehr daran. Heute ist sie für mich nichts weiter als eine herrliche Figur. Die beste, die ich je geschaffen habe. Ich habe das Gefühl, daß ich diesen künstlerischen Höhepunkt nie wieder erreichen werde. Und Sie geben doch zu, daß es sich hierbei um Kunst handelt, nicht? Obwohl ich die Materie und die Technik von Jahr zu Jahr besser beherrsche, habe ich nie wieder solche Perfektion in der Ausführung erreicht.
Und die Männer kommen und starren sie an. Ich meine, genauso, wie Sie sie anstarren. Ich glaube, daß die wenigsten ihre Geschichte kennen. Aber ich garantiere Ihnen: Die Männer würden auch wiederkommen, wenn sie Bescheid wüßten. – Sie kommen doch auch wieder, Monsieur , nicht wahr?«
Bertrand nickte wie hypnotisiert. Dann wandte er sich brüsk ab und ließ den Alten stehen. Er rannte wie von Furien gehetzt davon. Er benahm sich wie ein Narr. Und er wußte es auch. Er verfluchte sich, als er keuchend von dem Museum und dem verhaßten alten Mann fortlief.
Er war wirklich ein Narr. Sein Herz schlug wie verrückt. Warum haßte er den Mann – ihren Mann? Und warum haßte er sie? Weil sie einmal eine Frau aus Fleisch und Blut gewesen war? Weil sie gemordet hatte? – Wenn diese Geschichte überhaupt stimmte! Aber er wußte, daß sie stimmte. Er erinnerte sich dunkel an den Fall Jacquelin. Er glaubte einige Schlagzeilen der damaligen Zeitungsberichte vor Augen zu sehen, er glaubte sich zu entsinnen, daß er als kleiner Junge die Boulevardblätter, die die Einzelheiten des Falles eingehend geschildert hatten, mit einem angenehmen Schaudern im Rücken verschlungen hatte. Und warum hatte er jetzt auf einmal das Gefühl, Folterqualen zu erleiden? Was war sie schon? Nichts weiter als die Nachbildung einer Mörderin in Wachs, die ihr kleingeistiger, gefühlloser Ehemann geschaffen hatte. Was hatte er dagegen, daß andere Männer sie ebenfalls anstarrten? Wie kam er dazu, diese anderen Männer zu hassen?
War er im Begriff, jede Kontrolle über sich zu verlieren? Sein Verhalten war schon mehr als töricht. Es war verrückt.
Nie wieder durfte er das Wachsfigurenkabinett betreten. Nie wieder! Er mußte alles über die Tote vergessen. Ihr eigener Mann dachte nicht mehr daran, und die Welt erinnerte sich auch nicht mehr. Punkt. Aus. Erledigt. Er hatte seinen Entschluß gefaßt. Nie wieder …
Er war sehr glücklich, daß die Halle am nächsten Tag völlig ausgestorben war, als er vor der schweigenden rothaarigen Schönheit Salomes stand und sie anbetete.
Ein paar Tage darauf stand Oberst Bertroux völlig unerwartet vor Bertrands Wohnungstür. Bertroux, der ein guter Freund der Familie war, glich eher einem derben Bauern als einem ehemaligen Offizier. Es war für Bertrand kein Kunststück, herauszufinden, daß ihm seine besorgten Eltern den Oberst auf den Hals geschickt hatten, damit er ein ›ernstes Wort‹ mit ihm reden sollte.
Das paßte zu Bertrands Eltern. Und der Oberst war genau der Typ, der solche Art Aufträge mit Freude annahm. Er war schroff, pedantisch und hielt sich für eine absolute Respektsperson. Er redete Bertrand mit ›mein lieber Junge‹ an und verschwendete keine Zeit, auf den Kernpunkt seines Besuches zu kommen. Er forderte Bertrand auf, seine ›Torheiten‹ zu unterlassen und mit ihm nach Hause zu fahren, wo er ein bürgerliches Leben beginnen sollte. Er, Bertrand, gehöre in die elterliche Metzgerei und nicht in eine Pariser Dachstube. Mit seinen
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