15 Gruselstories
Abneigung gegen den Alten hielt ihn davon ab. Diese Abneigung steigerte sich allmählich zu Haß. Wenn die ganze Geschichte ein Schwindel war, haßte er den Alten wegen des Betruges; wenn sie stimmte, haßte er ihn, weil er eine Schönheit in den Armen gehalten hatte, für die Bertrand sein Leben gegeben hätte, um sie zu besitzen.
Als unser Poet heute das Wachsfigurenkabinett verließ, schlugen seine seelischen Qualen in haushohen Wellen über ihm zusammen. Er haßte das Museum, haßte den Besitzer mehr denn je, und er haßte sie , weil sie ihn unerbittlich an sich fesselte. Hatte er das nötig, jeden Tag in dieses dunkle Verlies zu gehen? Mußte er dahinvegetieren, um nur in den Augenblicken aufzuleben, in denen er ihre starre Schönheit bewundern durfte? Sollte er sich ein Leben lang an eine Hoffnung klammern, die niemals erfüllt werden konnte? Mußte er unbedingt das Bildnis einer Mörderin lieben? Wie lange sollte das so weitergehen? Ein Seufzen entrang sich seiner Brust. Du lieber Gott, wie lange noch?
Er schleppte sich die Treppen zu seinem Dachzimmer empor. Der Schlüssel drehte sich quietschend im Schloß, und die Tür sprang knarrend auf. Als Bertrand eintrat, starrte er verblüfft auf seinen Besucher – Oberst Bertroux.
Der alte Mann saß in dem einzigen Sessel der Behausung und hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gestützt.
»Entschuldige mein gewaltsames Eindringen«, murmelte der Oberst. »Ich habe mir mit einem Dietrich Zutritt verschafft, mein Junge. Ich hätte natürlich auch draußen auf dich warten können, aber ich zog es vor, in einem abgeschlossenen Raum zu sein. Nimm es mir bitte nicht übel.«
Bertrouxs Gesicht war so ernst und seine Stimme so eindringlich, daß Bertrand es für angebracht hielt, erstaunte Fragen über den unerwarteten Besuch zu unterdrücken.
Dennoch bemühte sich Bertrand, die Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, in Worte zu fassen. Er wollte natürlich von dem Oberst hören, warum er die Stadt nicht verlassen hatte und ob er wirklich derjenige gewesen wäre, den Bertrand neulich beim Verlassen des Museums zu erkennen geglaubt hatte.
Der Ältere fühlte die unausgesprochenen Fragen und hob mit einer müden Bewegung die Hände. Er deutete Bertrand an, auf der Couch Platz zu nehmen. Sein Gesicht trug Züge der Erschöpfung, und seine blauen Augen lagen tief in den Höhlen.
»Ich bin gerne bereit, mein Eindringen hier zu erklären, mein Junge«, begann er. »Aber ich möchte zuerst ein paar Fragen an dich richten, die du mir ehrlich beantworten mußt. Von deiner Ehrlichkeit hängt alles ab, mein Junge.«
Bertrand, der von dem Ernst seines Besuchers einigermaßen beeindruckt war, nickte feierlich.
»Als allererstes möchte ich wissen, wie lange du schon zu dem Wachsfigurenkabinett gehst.«
»Seit ungefähr einem Monat. Um genau zu sein: Morgen vor einem Monat habe ich es zum erstenmal aufgesucht.«
»Wie kamst du überhaupt auf den Gedanken, in eine solche – Ausstellung zu gehen?«
Bertrand berichtete von seinem damaligen Spaziergang im Nebel, wie ihn die Kälte plötzlich beschlichen hätte und wie das Licht, das er dann gesehen hätte, für ihn gleichbedeutend mit Wärme und Geborgenheit gewesen wäre.
Der Oberst hörte ihm interessiert zu.
»Hat der Besitzer gleich beim ersten Besuch mit dir gesprochen?«
»Nein.«
Der Oberst geriet mit seinen Fragen ins Stocken. Er schien die Anwesenheit des Jüngeren für einen Augenblick zu vergessen, schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin: »Seltsam … von dieser Wachsfigur geht eine verborgene Kraft aus … und dabei habe ich diesen Quatsch von dämonischen, übernatürlichen Kräften niemals ernstgenommen
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