15 Gruselstories
Lächeln und die Verzauberung, die sie auf ihn ausübte, verstehen.
Mit diesen Gedanken ging er schlafen. In den nächsten Tagen fing er an zu arbeiten. Er begann ein überschwengliches Gedicht, das hauptsächlich von überraschenden Versprechungen und Erfüllungen handelte. Er schrieb ohne Pause.
Er war froh, daß der Oberst abgefahren war, und er war dankbar, daß sie ihm half. Sie schien ihn zu verstehen. Sie mußte einfach wirklich sein! Vielleicht hatte sie sein wildes Gestammel vernommen, das er in schlaflosen Nächten zu den Sternen geschickt hatte. Vielleicht wartete sie als Fee Morgana auf einer Insel Avalon für Poeten oder vielleicht harrte sie seiner im Fegefeuer für Poeten. Er würde sie finden …
Er versprach es ihr, als er am nächsten Tag bei ihr war, und er dankte ihr, daß sie Oberst Bertroux vertrieben hatte. Als er ihr einige Zeilen seines Sonetts vortrug, kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß die Augen des alten Grauhaarigen, der am Eingang der Halle stand, auf ihm ruhten.
Bertrand hielt in seinem Gemurmel inne und wurde knallrot vor Scham. Spionierte ihm der Alte nach? Wie oft mochte er sich schon ins Fäustchen gelacht haben, wenn er die Pein der armen Teufel sah, die ihrer Schönheit verfallen waren? Verschrumpelter alter Zwerg! Bertrand knirschte in ohnmächtiger Wut lautlos mit den Zähnen.
Er bemühte sich, nicht zu dem Alten zu sehen, und betrachtete eingehend den neuen Kopf von Johannes dem Täufer. Ersatzkopf – na schön. Er fragte sich, wie es gekommen sein mochte, daß das Original zerbrochen war. Der Alte hatte irgend etwas von einem Narr mit einem Regenschirm gemurmelt. Er hatte sie berühren wollen. Warum auch nicht? Sie war so wirklich und gegenwärtig, daß dieser Wunsch eines Mannes naheliegend war. Bertrand bezwang nur seinen aufkommenden Ärger, daß es ein anderer Mann gewesen war …
Aber der Ersatzkopf war gar nicht so übel. Er war sauber gearbeitet und wirkte so natürlich wie der erste. Die geschlossenen Augen des blonden Jünglings wirkten fast noch schauerlicher als der starre Blick des anderen. Es war halt nur nicht mehr Johannes der Täufer. Hm. Nun ja.
Der kleine Grauhaarige starrte unverwandt zu ihm herüber.
Bertrand fluchte leise und wandte sich von Salome ab. Heute war ihm bei ihr keine Ruhe vergönnt. Als er auf den Ausgang zuging, bemühte er sich, den Eindruck zu erwecken, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Er schaute angestrengt auf seine Armbanduhr, um nicht den starrenden Alten anblicken zu müssen. Dabei prallte er allerdings gegen einen eintretenden Besucher. Er murmelte ›Verzeihung‹ und ging hastig weiter.
Aber schon nach zwei Schritten blieb er ruckartig stehen und schaute sich um. Er starrte mit weitaufgerissenen Augen auf den breiten Rücken des Mannes, den er eben angerempelt hatte.
War er total verrückt oder war das wirklich Oberst Bertroux, der jetzt in die Halle ging?
Aber Bertroux war doch abgefahren – oder vielleicht nicht? Hatte sie ihn zum Bleiben gezwungen? Betete der Oberst sie jetzt heimlich an? So wie er, Bertrand? Wie so viele andere? Würde der fette Alte jetzt den Oberst anstarren? Hatte Salome ein neues Opfer gefunden, das ihr verfallen war? Bertrand machte sich langsam und sehr nachdenklich auf den Weg nach Hause. In den nächsten Tagen ging er, in der Hoffnung, den Oberst zu treffen, zu höchst ungewöhnlichen Zeiten in das Wachsfigurenkabinett. Er brannte vor Neugier. Er wollte mit dem Älteren reden, wollte von ihm erfahren, ob er wirklich ebenfalls von einer Wachsfigur betört wäre.
Bertrand hätte sich natürlich bei dem kleinen, grauhaarigen Museumsbesitzer nach seinem Freund erkundigen können, aber seine gefühlsmäßige
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