15 Gruselstories
er.
Sie zuckte erschrocken zusammen und bedeckte mit ihren Armen den Gegenstand völlig, den sie eben liebkost hatte, und preßte ihn dabei heftig an sich.
Sam Steever mußte unwillkürlich an eine Puppe denken, die auf einer Brust zerdrückt wird.
Irma blickte ihn an. Ihr Gesicht war eine unschuldige Maske. Zumindest in dem herrschenden Dämmerlicht glich ihr kleines Gesicht einer Maske. Die Maske eines kleinen Mädchens, die etwas verdeckte. Aber was … ?
»Hast du gesehen, daß es Vati wieder besser geht?« lispelte Irma. »Oh, ich glaube, es geht ihm viel besser.«
»Das wußte ich.«
»Aber ich fürchte, mein Kind, daß er wegfahren muß, um sich zu erholen. Er wird lange Zeit brauchen, bis er sich völlig erholt hat.« Ein Lächeln drang durch die Maske.
»Gut«, sagte die kleine Stimme.
»Du kannst hier natürlich nicht solange allein bleiben«, fuhr Sam eifrig fort. »Wir werden uns das noch in Ruhe überlegen. Vielleicht werden wir dich in ein Internat schicken oder in irgendein anderes Heim –«
Irma kicherte. »Oh, du brauchst dir meinetwegen nicht den Kopf zu zerbrechen«, sagte sie und rückte zur Seite, als sich Sam zu ihr auf das Sofa setzte. Als er sich zu ihr beugte, sprang sie rasch auf. Durch Irmas plötzliche Bewegung tauchten unter ihren Ellenbogen zwei kleine Beine auf, die mit Hosen bekleidet waren und an den Füßen kleine Lederstücke als Schuhe hatten.
»Was hast du da, Irma?« fragte er. »Ist das eine Puppe?«
Er streckte sehr langsam seine plumpen Hände aus.
Sie wich zurück.
»Du darfst sie nicht sehen«, meinte Irma bestimmt.
»Aber ich möchte sie gerne sehen. Miss Pall hat mir erzählt, was du für hübsche Puppen machst.«
»Miss Pall ist dumm. Und du auch. Geh weg!«
»Aber Irma«, begann Sam beschwichtigend, »was redest du denn für dummes Zeug. Komm, sei lieb, und zeig mir die Puppe.«
Während er sprach, schaute er auf den Kopf der Puppe, der durch Irmas Zurückweichen zum Vorschein gekommen war. Sam sah die dunklen Haarbüschel über dem weißen Gesicht. Das Dämmerlicht verwischte die Gesichtszüge, aber er konnte undeutlich Augen und Nase erkennen und das Kinn …
Er war aber nicht bereit, ihren bockigen Widerstand länger geduldig hinzunehmen.
»Gib mir jetzt sofort die Puppe, Irma«, sagte er barsch. »Ich weiß, was es ist – ich weiß, wer sie ist …«
Für einen Augenblick glitt die Maske von Irmas Gesicht. Sam Steever sah die nackte Angst in ihren Augen.
Sie wußte, daß er wußte …
Aber genauso schnell, wie sie verschwunden war, kehrte die Maske auf ihr Gesicht zurück.
Sie war nichts weiter als ein süßes, eigensinniges kleines Mädchen, das den Kopf schüttelte und ihren alten Onkel schalkhaft mit den großen Kinderaugen anblitzte.
»Aber Onkel Sam«, kicherte sie, »wie kannst du nur so dumm sein? Das ist wirklich keine richtige Puppe.«
»Was ist es dann?« fragte Sam grunzend.
Sie kicherte wieder und hob die Figur in die Höhe, als sie sagte: »Das ist nur eine Zuckerpuppe.«
»Eine Zuckerpuppe?«
Irma nickte kichernd. Dann steckte sie mit einer raschen Bewegung den kleinen Puppenkopf in den Mund.
Und biß ihn ab.
Von oben kam ein einziger gellender unmenschlicher Schrei, der Sam das Blut in den Adern erstarren ließ.
Während er keuchend die Stufen hinaufraste, schlüpfte die kleine Irma, die immer noch stillvergnügt kaute, durch die Vordertür und tauchte im Dunkel der Nacht unter.
Henoch, der Eingeweihte
Der Anfang ist immer gleich.
Zuerst ist das Gefühl da.
Wissen Sie, wie das ist, wenn über Ihren Kopf kleine Füße laufen? Kleine Füße, die eilig hin und her und her und hin laufen?
So fängt es immer an.
Sie können nicht sehen, wer da umhermarschiert. Es ist ja immerhin oben auf Ihrem Kopf. Wenn Sie sich für gescheit halten, warten Sie auf eine
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