15 Gruselstories
haben.
»Sam – um Gottes willen – komm her! Irgend etwas geschieht mit mir!«
»Was ist denn los?«
»Diese Schmerzen – sie bringen mich noch um! Ich muß dich sehen – so schnell wie möglich.«
»Im Vorzimmer wartet noch ein Besucher – aber den kann ich loswerden. Aber – Moment mal, John – warum rufst du nicht den Arzt?«
»Der Quacksalber kann mir nicht helfen. Er hat meinen Arm bestrahlt und gestern meinen Rücken.«
»Und hat es nicht geholfen?«
»Die Schmerzen ließen nach. Aber sie sind jetzt viel stärker wiedergekommen. Ich habe das Gefühl, als ob ich in der Mitte durchbreche und als ob meine Brust zerquetscht wird. Ich kriege kaum noch Luft.«
»Das klingt nach einer Brustfellentzündung. Warum rufst du nicht den Arzt an?«
»Es ist keine Brustfellentzündung. Er hat mich genau untersucht und gesagt ich wäre gesund wie ein Fisch im Wasser. O nein, mir fehlt nichts Organisches … und die wirkliche Ursache – konnte ich dem Arzt nicht sagen.«
»Die wirkliche Ursache?«
»Ja. Die Nadeln. Die Nadeln, die das kleine Ungeheuer in die Puppe, die sie selbst gemacht hat, spießt. Erst in den Arm. Dann in den Rücken. Der Himmel mag wissen, wie sie das jetzt geschafft hat.«
»John, hör zu, du darfst nicht –«
»Was hat das für einen Sinn, zu reden? Ich kann mich nicht aus dem Bett rühren. Jetzt hat sie mich. Und ich kann nichts dagegen tun. Ich bin außerstande, hinunterzugehen, um ihr diese verdammte Puppe wegzunehmen. Und wem sollte ich es sagen? Es würde mir doch keiner glauben. Aber ich weiß, daß es diese verfluchte Puppe ist, die sie aus Kerzenwachs und den Borsten von meiner Haarbürste gemacht hat. Oh, das Reden tut so weh – diese verdammte kleine He xe! Beeil dich, Sam. Versprich mir, daß du alles – alles – alles tun wirst, um ihr die Puppe abzunehmen – ihr die Puppe abzunehmen – ihr die Puppe abzunehmen …«
Eine halbe Stunde später betrat Sam Steever das Haus seines Bruders.
Irma öffnete ihm die Tür.
Sie stand lächelnd und ruhig da. Die blonden Haare waren aus der unschuldigen Stirn zurückgebürstet. Ihre blauen Augen in dem rosigen Gesicht leuchteten. Sie sah wie eine kleine süße Puppe aus. Eine kleine Puppe …
»Hallo, Onkel Sam.«
»Guten Tag, Irma. Dein Vater hat mich angerufen. Hat er es dir erzählt? Er hat gesagt, daß es ihm nicht so gut geht …«
»Ich weiß. Aber er fühlt sich jetzt schon viel besser. Er schläft.«
Irgend etwas ging in Sam Steever vor. Er hatte das Gefühl, daß ihm ein Eistropfen den Rücken hinunterlief.
»Er schläft?« krächzte er. »Oben?« Ehe Irma den Mund zu einer Antwort aufmachen konnte, war Sam schon auf der Treppe zum ersten Stock. Er rannte den Gang entlang, der zu Johns Schlafzimmer führte.
John lag im Bett. Er schlief. Er schlief wirklich – und nichts weiter. Sam sah, wie sich die Brust seines Bruders in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Sein Gesicht war ruhig und entspannt. Der Eistropfen auf Sams Rücken verdampfte. Er atmete erleichtert auf und brummte »Unsinn« vor sich hin.
Als er wieder langsam die Treppe hinunterging, überlegte er, was zu tun wäre. Ein sechsmonatiger Urlaub wäre für seinen Bruder das Richtige, wobei man ja das Wort ›Kur‹ vermeiden konnte. Irma müßte man in ein Internat stecken, damit sie mit anderen Kindern zusammenkam. Sie mußte aus diesem alten Haus herauskommen, weg von all diesen Büchern …
Auf halber Treppe blieb Sam stehen. Als er über das Treppengeländer lugte, sah er in der Dämmerung Irma, die auf dem Sofa wie ein kleiner weißer Ball zusammengerollt lag. Sie wiegte etwas in ihren Armen hin und her und redete auf dieses Etwas ein.
Es schien also auf alle Fälle eine Puppe zu geben.
Sam stieg auf Zehenspitzen die letzten Stufen hinunter und ging leise auf Irma zu.
»Na, du –«, sagte
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