15 Gruselstories
– danach. Nichts konnte ihn während der nächsten Tage wecken, und während dieser Zeit war ich ein freier Mensch. Sonst genoß ich diese Freiheit. Aber heute nicht. Ich brauchte seine Hilfe.
Ich konnte nicht länger warten, denn das Hämmern wurde immer stärker und eindringlicher.
Ich stand auf und öffnete die Tür. Unser alter Sheriff Shelby stand vor mir.
»Komm mit, Seth«, sagte er. »Ich werde dich ins Gefängnis bringen.«
Ich sagte kein Wort. Seine stechenden schwarzen Augen schienen in jeden Winkel meiner armseligen Hütte zu dringen. Als er dann seinen Blick auf mich richtete, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Ich fürchtete mich.
Er konnte natürlich Henoch nicht sehen. Keiner kann ihn sehen. Aber Henoch war da; ich fühlte sein leichtes Gewicht auf meinem Kopf. Er hatte sich unter meinen Haaren zur Ruhe gebettet und schlief so friedlich wie ein Baby. »Emily Robbins Familie hat mir gesagt, daß Emily den Weg durch den Sumpf abkürzen wollte«, erklärte der Sheriff. »Wir konnten die Reifenspuren bis zu dem alten Triebsand verfolgen.«
Die Reifenspuren! Henoch hatte nicht an die Reifenspuren gedacht. Was sollte ich also sagen? Außerdem posaunte der Sheriff:
»Alles, was du sagst, kann gegen dich verwendet werden. Komm jetzt!«
Was blieb mir also anderes übrig, als mit ihm zu gehen?
Als wir zusammen in den Ort fuhren, wollten sich die Menschen auf das Auto stürzen. In der Menge waren auch viele Frauen, die den Männern zuschrien, daß sie mich ›fassen‹ sollten.
Doch Sheriff Shelby hielt die Meute zurück, und schließlich war ich heil im Gefängnis gelandet. Sie sperrten mich in die mittlere Zelle. Ich war ganz allein, denn die beiden anderen Zellen waren nicht besetzt. Ganz allein – bis auf Henoch. Aber der schlief wie ein Toter.
Gleich im Morgengrauen fuhr Sheriff Shelby mit einigen seiner Leute wieder fort. Ich schätze, daß er versuchen wollte, die Leiche aus dem Triebsand zu bergen. Ich wunderte mich, daß er nicht den Versuch machte, mich auszufragen.
Da war Charles Potter ganz anders. Der wollte alles wissen. Sheriff Shelby hatte ihm während seiner Abwesenheit die Aufsicht über das Gefängnis übergeben. Charles Potter brachte mir nach einer Weile das Frühstück und lungerte um meine Zelle herum. Er überschüttete mich mit Fragen. Ich schwieg. Ein Narr wie Charles Potter wäre der letzte Mensch, mit dem ich darüber reden würde. Er hielt mich für verrückt. Genauso wie die Meute, die vor dem Gefängnis grölte. Die meisten Leute in der Stadt hielten mich für verrückt. Wahrscheinlich wegen meiner Mutter und weil ich draußen ganz allein am Rande des Sumpfes hauste.
Was hätte ich Charles Potter auch schon sagen können? Wenn ich ihm von Henoch erzählte, würde er sowieso kein Wort glauben.
Also sagte ich nichts.
Ich hörte aber genau zu, als Charles Potter zu reden anfing.
Er berichtete über die Suche nach Emily Robbins und sagte, daß sich der Sheriff auch über die anderen Personen, die im Laufe der letzten Zeit verschwunden wären, Gedanken machte. Er prophezeite mir, daß es eine große Verhandlung geben würde, zu der der Staatsanwalt aus der Kreisstadt kommen würde. Außerdem hätte er gehört, daß man gleich einen Arzt zu mir schicken wollte.
Ich hatte dann auch kaum mein Frühstück beendet, als der Arzt schon eintrat. Charles Potter, der ihn vorfahren sah, hatte ihn hereingelassen. Er hatte Mühe, die Meute draußen zurückzuhalten, die mit dem Arzt zusammen ins Gefängnis dringen wollte. Ich schätze, die da draußen wollten mich lynchen.
Der Arzt war ein kleiner Mann und hatte einen dieser komischen Backenbärte. Nachdem er Charles Potter hinausgeschickt hatte, nahm er vor meiner Zellentür Platz und begann, mit mir zu
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