15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
augenscheinlich soeben im Begriff gewesen, jene Person an eine Leiter zu binden, welche dort angelehnt stand. Ein hochgebauter Mann, der eine Peitsche in der Hand hatte, kam in selbstbewußter Haltung auf mich zu. Seine breite Brust, sein lang gezogenes Gesicht mit einer fürchterlichen Habichtsnase ließen schließen, daß er ein Armenier sei.
„Bist du blind?“ fuhr er mich an. „Kannst du dich nicht in acht nehmen, wenn du durch das Tor reitest?“
„Schaff den Dreck da draußen fort, und mach die Löcher zu, dann kann man zu dir kommen, ohne sich oder anderen die Hälse zu brechen!“
„Was! Du willst grob mit mir sein?“
„Bist du etwa höflich?“
„Soll ich dich umarmen und küssen, wenn du mir meinen Knecht fast zu Tode reitest?“
„Zu Tode? Dort steht er, und putzt sich den Dünger aus den Haaren. Bei dir fällt man so weich, daß es eine wahre Lust ist, umgeritten zu werden. Bist du der Wirt?“
„Ja. Und wer bist du?“
„Ein Fremder.“
„Das sehe ich. Hast du einen Paß?“
„Ja.“
„Zeige ihn her!“
„Wasche dir erst die Finger, sonst wird er schmutzig. Was hast du zu trinken?“
„Saure Milch.“
„Danke! Hast du sonst nichts?“
„Zwetschgenbranntwein.“
„Und Futter für das Pferd?“
„Gestoßenen Mais.“
„Schön! Laß ihm geben, so viel es frißt. Mir aber gib ein Glas Zwetschgenbranntwein.“
„Ich habe keine Gläser. Du wirst einen Topf bekommen. Gehe hinein in die Stube.“
Der Mann war sehr kurz angebunden. Ich band mein Pferd an einen Pfahl und trat dann in die Stube. Diese war ein schmutziges Loch mit einer rohen Bank und einem eben solchen Tisch. Mehrere umherstehende kleinere Holzgestelle von ganz absonderlicher Form gaben mir zu denken. Sie bestanden aus einem dreieckigen Lattenrahmen und hatten drei Beine. Mein bewundernswerter Scharfsinn ließ mich erraten, das es Sessel seien.
Eine Frau saß da und rührte in einem großen hölzernen Kübel herum, in welchem sich saure Milch befand. Das Instrument, dessen sie sich bediente, war nicht etwa ein Löffel oder Quirl, sondern die Hälfte eines Stiefelknechtes, welcher seiner Länge nach auseinandergebrochen war. Daß ich mich nicht irrte, bewies die andere Hälfte dieses nützlichen Hausgerätes, welche daneben lag. Diese Frau hatte jedenfalls den ersten nächstliegenden Gegenstand ergriffen, um die Milch zu rühren. Wäre der halbe Stiefelknecht nicht dagelegen, so hätte sie, glaube ich, einen ihrer Pantoffel ausgezogen, um sich desselben zu dem angegebenen Zweck zu bedienen.
Ich grüßte. Sie glotzte mich mit großen, dummen Augen an und antwortete nicht. Der Mann war auch eingetreten. Er nahm einen kleinen Topf von einem Nagel herab und goß aus einem Krug einige Tropfen einer Flüssigkeit ein, welche er mir als Zwetschgenbranntwein vorsetzte.
„Ist das wirklich Zwetschgenbranntwein?“ fragte ich, an dem Topf riechend.
„Ja.“
„So! Hast du sonst nichts?“
„Nein. Er ist dir wohl nicht gut genug?“
„Er ist schlecht.“
„So packe dich fort, wenn es dir bei mir nicht schmeckt! Ich habe es dir nicht befohlen, hier einzukehren. Bist du etwa ein Pascha, daß du solche Ansprüche machst?“
„Nein. Wieviel kostet dieser Zwetschgenbranntwein?“
„Zwei Piaster.“
Ich verkostete den Trank. Der Topf hatte einen Kubikinhalt von mehr als einem halben Liter. Zwetschgenbranntwein enthielt er vielleicht zwei Fingerhüte voll. Dazu klebte an dem Rand eine Art Pech, welches gewiß aus dem Schmutz bestand, welchen die Schnurrbärte von einigen Tausenden von Trinkern daran abgesetzt hatten. Der Zwetschgenbranntwein war der allerniederträchtigste Fusel, den ich gerochen und geschmeckt hatte. Und zwei Piaster sollte er kosten! Achtundreißig bis vierzig Pfennige! Das war der reine Schwindel in diesem Land der Zwetschgenbäume! Doch enthielt ich mich jetzt noch einer Bemerkung.
„Nun, schmeckt er?“ fragte der Mann.
„Ja – und wie!“
Er verstand mich falsch und sagte:
„Wenn du mehr willst, so sage es der Frau. Sie wird dir geben. Ich habe keine Zeit. Ich muß hinaus, um eine Züchtigung vorzunehmen.“
Er ging, und ich betrachtete mir nun die Stube näher. Einige elende Bilder, welche einfach an die Wand geklebt waren, bestätigten, daß ich mich bei einem armenischen Christen befand. Das war jedenfalls einer von jenen Christen, welche der gute Schimin ‚Unkraut‘ genannt hatte. Sie sind es leider, nach denen in jenen Gegenden von Andersgläubigen das Christentum
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