15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
einsperren lassen; aber da du aufrichtig geworden bist, so sei dir auch dies erlassen. Du bist also frei und kannst gehen.“
„Und, Herr, Fährmann darf ich auch bleiben?“
„Ja. Wenn ich dir alle übrige Strafe schenke, so darfst du bleiben, was du bist.“
Da erglänzte sein Gesicht vor Freude.
„Effendi!“ rief er aus. „Meine Seele ist voll von Dank für dich. Gewähre mir nur noch eins, dann werde ich glücklich sein.“
„Was denn?“
„Sage dem Mübarek nichts von dem, was ich dir mitgeteilt habe.“
Diesen Wunsch konnte ich ihm sehr leicht erfüllen. Es lag ja in meinem eigenen Interesse, daß der Alte nichts davon erfuhr. Je weniger er mir die Kenntnis dieser Heimlichkeiten zutraute, desto sicherer war ich, ihn überlisten zu können.
Ich gab also dem Fährmann die Versicherung, daß ich schweigen würde, und dann entfernte er sich, sehr zufrieden mit dem glücklichen Ausgang dieses Intermezzos.
Zu erwähnen ist, daß der letzte Teil der Unterredung ohne lästige Zeugen vor sich gegangen war. Der Wirt war abgerufen worden und hatte seinen Bruder mitgenommen. Also hatte keiner von beiden das heimliche Wort gehört. Die drei aber, welche dabei standen: – Halef, Osco und Omar – konnten es immerhin wissen.
Nun überzeugte ich mich, daß die Pferde gut untergebracht waren, und wurde dabei von einer Menge Menschen angestaunt, welche durch das nun wieder geöffnete Tor hereingekommen waren. Es schien ihnen unbegreiflich zu sein, daß ein Reiter im Galopp einen Mann zu sich in den Sattel nehmen könne. Oder war ihnen meine Person auch aus andern Gründen interessant?
Diese letztere Frage war zu bejahen, als mir Halef mitteilte, daß ihn einer gefragt habe, ob ich der fremde Hekim Baschi sei, welcher der Nebatja über zweihundert Piaster geschenkt und es auch gewagt habe, einen Vogel des Mübarek totzuschießen.
Ich befand mich kaum eine Viertelstunde hier im Konak und war bereits ein berühmter Mann. Das war mir gar nicht lieb. Je weniger man auf mich achtete und von mir sprach, desto eher und leichter konnte ich meine Aufgabe erfüllen.
Jetzt begab ich mich in das Innere des Hauses. Es war fast ebenso eingerichtet wie dasjenige in Dabila, nur daß es hier anstatt der geflochtenen Wände solche aus Backsteinen gab.
Der Türke hatte uns gut empfohlen, denn wir wurden in eine besondere Stube geführt und erhielten zunächst Wasser, um uns vom Staub zu reinigen, und sodann ein Essen, welches in Anbetracht der hiesigen Verhältnisse ein sehr anständiges war.
Die beiden Schwäger aßen mit. Servietten oder, wie sich Halef ausgedrückt hatte, Brustvorhänge gab es da freilich nicht. Ganz von selbst verstand es sich, daß die Rede auf den Diebstahl kam, dessen nähere Umstände noch einmal genau durchgesprochen wurden.
Dabei dachte ich daran, daß ich den mitentflohenen Gefängnisschließer noch gar nicht gesehen hatte; die beiden andern kannte ich genau. Darum fragte ich Ibarek:
„Würdest du die drei Diebe wieder erkennen, wenn du sie sähest?“
„Sofort.“
„Also hast du sie genau betrachtet. Kannst du mir denjenigen beschreiben, welcher die Kartenkunststücke gemacht hat? Man könnte ihm vielleicht begegnen, und ich habe ihn noch nicht gesehen.“
„Oh, der ist sehr leicht zu erkennen! Er hat ein Zeichen, welches er nicht entfernen kann.“
„Welches?“
„Er hat eine Hasenscharte im Gesicht.“
„Das genügt. Du brauchst mir ihn also nicht weiter zu malen.“
„Nicht seine Kleider?“
„Nein.“
„Aber mir scheint, daß es gut sei, zu wissen, wie er gekleidet ist.“
„Das kann nur zum Irrtum verleiten. Kleider lassen sich leicht verändern oder gar wechseln. Da er eine Hasenscharte hat, die er wohl nicht verbergen kann, so bin ich völlig zufriedengestellt.“
Jetzt kam ein Knecht herein und flüsterte mit dem Wirt, welcher sichtlich verlegen wurde und mich ratlos anblickte.
„Was gibt es?“ fragte ich.
„Verzeihe, Herr“, antwortete er. „Es sind mehrere Khawassen draußen.“
„Wegen uns?“
„So ist es.“
„Was wollen sie?“
„Dich arretieren.“
„Allah Akbar – Gott ist groß!“ rief Halef. „Sie mögen hereinkommen! Wir werden ja sehen, wie wir laufen: ob sie mit uns oder wir mit ihnen.“
„Ja“, stimmte ich bei; „aber laß unsere Pferde augenblicklich wieder satteln.“
„Wollt ihr etwa fliehen?“
„Fällt uns nicht ein!“
Er ging hinaus, und durch die nun offene Tür traten sechs, sage sechs bis an die Zähne
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