15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
einen Bogen, bis ich mich im Wald gegenüber der Hütte befand, und da sah ich die zwei Gesuchten mit angelegten Gewehren liegen. Ich näherte mich ihnen so weit, als es möglich war, ohne drüben gesehen zu werden. Sie bemerkten mich und gaben mir ihre Freude durch gedämpfte Ausrufe zu erkennen.
„Ist einer entkommen?“ fragte ich.
„Nein“, antwortete Osco.
„Habt ihr geschossen?“
„Fünfmal.“
„Und die Männer da drüben?“
„Auch dreimal; sie haben aber nicht getroffen. Sie können nicht heraus und wir nicht hinein. Was ist da zu tun?“
„Ihr bleibt hier, bis ihr mich an der Hütte seht –“
„Was! Du willst hin?“
„Ja.“
„Sie erschießen dich!“
„Nein. Ich schleiche mich von hinten heran. Dort gibt es kein Fenster; sie können mich also nicht sehen. Halef ist bei mir. Wenn wir uns dort befinden, kommt ihr nach, natürlich auch von hinten. Was wir dann tun, das muß sich erst finden. Wo habt ihr eure Pferde?“
„Etwas weiter drin im Wald angebunden.“
„Laßt sie da, bis die Belagerung zu Ende ist!“
Ich kehrte jetzt wieder zu Halef zurück und teilte ihm meinen Entschluß mit. Er war einverstanden. Er nickte mir pfiffig zu und fragte:
„Siehst du die Gewehrläufe, welche dort aus dem Fenster ragen, Sihdi?“
„Ja freilich.“
„Diese Gewehre werden nicht lange mehr so neugierig sein!“
„Ah! Meinst du? Richtig, ich dachte auch daran.“
„Wir schleichen uns hinan, greifen plötzlich zu und ziehen die Flinten zum Fenster heraus!“
„Wollen es versuchen.“
„Und was soll ich tun?“ fragte der Sahaf.
„Wenn wir bei der Hütte sind, bringst du unsere Pferde nach, aber auf einem Umweg von hinten. Hinter der Hütte bindest du sie an die Bäume und kannst dann zu uns kommen.“
Er erhielt die Zügel unserer Pferde, und wir schlugen einen Bogen nach der hinteren Seite des Gebäudes. Wir erreichten es ganz glücklich und blieben zunächst lauschend stehen. Es war alles ruhig.
„Jetzt, Sihdi!“ flüsterte Halef.
„Aber nur vorsichtig! Die beiden Gewehre können leicht losgehen. Wir müssen uns hüten, getroffen zu werden. Haben wir die Gewehre, so eilen wir an die beiden vorderen Ecken des Gebäudes. Wir sind dann, hinter ihnen versteckt, vollständig sicher und können jedem, der heraustreten will, aus nächster Nähe eine Kugel senden. Komm!“
Ich lugte um die Ecke. Die beiden Gewehrläufe ragten etwa acht bis neun Zoll aus der Fensteröffnung heraus. Ich bückte mich – einige leise Schritte, Halef an meiner Seite – ein Griff, ein Ruck, ein Sprung zurück: wir waren wieder hinter der Ecke und hatten die beiden langen, türkischen Flinten in den Händen.
Drinnen blieb es noch einige Augenblicke ruhig, jedenfalls vor Überraschung. Da riefen Osco und Omar von drüben herüber laut:
„Aferim, aferim – bravo, bravo!“
Und nun wurde es auch in der Hütte laut. Wir hörten die verschiedensten Flüche, Ausrufe des Schreckens, der Verwunderung, ratlose Fragen; wir antworteten aber nicht.
„Geh' du hinten herum an die andere Ecke“, flüsterte ich Halef zu. „Dann haben wir die Tür zwischen uns.“
Er nickte und schlich sich davon. Jetzt vernahm ich ein leises Zischeln im Innern der Hütte. Ich strengte das Ohr an und glaubte ein ‚Unter dem Fenster versteckt!‘ zu vernehmen. Ich vermutete, was man jetzt tun werde, und beobachtete, nur die Hälfte des Gesichtes vorstreckend, die Fensteröffnung.
Richtig! Die Doppelläufe einer Pistole kamen zum Vorschein. Man wollte am Fenster herniederschießen, das war mit einem Gewehr unmöglich; darum bediente man sich einer Pistole. Ich nahm den Lauf meiner Büchse in die Hand und erhob den Kolben.
Erst sah ich die Läufe der Pistole, dann das Schloß, endlich auch die Hand, welche die Waffe hielt. Der Besitzer dieser Hand war entweder sehr kühn oder sehr leichtsinnig; ich konnte sie ihm mit einer Kugel sofort zerschmettern. Statt dessen aber holte ich mit dem Kolben aus, zwar wenig nur, aber als ich die Hand traf, ertönte trotzdem drinnen ein fürchterlicher Schrei. Die Hand war verschwunden; die Pistole lag unter dem Fenster an der Erde.
Halef hatte von der andern Ecke her den Vorgang beobachtet. Er sagte laut:
„Eji, pek eji – gut, sehr gut, Effendi! Dieser dumme Kerl wird seine Hand in Zukunft lieber in die Tasche stecken. Wir haben nun drei Waffen erbeutet!“
„Iahu, ajy awdschy – holla, der Bärenjäger!“ hörte ich drin rufen.
Man hatte Halef also an der Stimme
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