1503 - Die Nacht der Bestien
Schleier auf die Waldstücke und verlieh den Baumspitzen einen mattgelben Glanz.
Die Tiere der Nacht waren längst erwacht. In der Dunkelheit war des Öfteren ein Röcheln zu hören oder mal ein schrilles Fiepen, das von einem Nager ausgestoßen wurde.
Aber die Tiere zogen sich sofort zurück, wenn fremde Laute sie störten.
Diesmal waren es die Geräusche von Schritten, die über den Waldboden glitten.
Derjenige, der hier seinen Weg fand, schien Probleme mit dem Laufen zu haben, denn die Schritte klangen nie gleichmäßig. Sie waren für ein paar Sekunden zu hören, verstummten dann wieder, legten eine Pause ein und klangen erneut auf.
Der Wald gab keine Antwort. Trotz seiner noch winterlichen Kahlheit war er dicht genug, um die Gestalt zu verbergen, die sich da auf den Weg gemacht hatte. Sie ging in eine bestimmte Richtung und blieb erst stehen, als sie den Rand erreicht hatte. Es war eine besonders gute Position, denn jetzt störte nichts ihren freien Blick.
Im Unterholz blieb die Gestalt stehen, legte den Kopf zurück und schaute gegen den Himmel.
Da gab es nur ein Ziel für sie - den Vollmond!
Ihn nur wollte sie sehen. Sein Licht war für sie das Lebenselixier, und die Gestalt fing es mit den Augen auf, sodass diese einen besonderen Glanz erhielten. Die Kraft des Erdtrabanten erfüllte die Gestalt, aber sie wusste auch, dass es noch nicht so weit war.
Und trotzdem löste sich ein leises Heulen aus dem halb offenen Mund, und die Gier nach Beute erwachte allmählich in ihr. Diesmal wollte sie alles richtig machen, das hatte sie sich vorgenommen, und sie spürte auch mit einem sicheren Instinkt, dass jemand unterwegs war, der ihr in die Arme laufen würde.
So musste das sein.
Die Gestalt nickte und öffnete mit ihren Fingern den Reißverschluss der Jacke.
Darunter trug sie nur die blanke Haut, und sie freute sich irrsinnig, sie im Licht des Mondes baden zu können…
***
»Du hast dich nicht verfahren?«, fragte Johnny.
»Nein, wieso?«
»Weil die Gegend ziemlich einsam ist, und die normale Straße ist auch ein Stück entfernt.«
»Keine Bange, ich kenne mich aus.«
»Okay.« Johnny sagte nichts mehr. Er runzelte nur die Stirn und schimpfte sich zum wiederholten Mal einen Narren, dass er überhaupt mitgefahren war. Er hätte sich von Jenny nicht überreden lassen sollen, Aber wer kam schon gegen ihr Mundwerk an?
Und so biss er weiterhin in den sauren Apfel und hing seinen Gedanken nach. Mit den beiden auf dem Rücksitz konnte er sich auch nicht unterhalten, die waren mit sich selbst beschäftigt. Sie knutschten und fummelten aneinander herum, was nicht lautlos vor sich ging. Die Geräusche waren für einen unbeteiligten Zuhörer nicht eben angenehm.
Jenny fuhr unverdrossen weiter. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die kaum schlechte Laune hatten. Auch jetzt pfiff sie vor sich hin oder summte mal eine Melodie. Sie war einfach guter Dinge und freute sich auf das Picknick im Mondschein.
Es war natürlich zu kühl, aber Jenny hatte versprochen, dass sie einiger maßen geschützt sitzen würden, und da hatten die anderen zugestimmt.
Kingston upon Thames hatten sie hinter sich gelassen. Sie waren nicht durch den Ort gefahren, hatten ihn praktisch nur an der Peripherie berührt und waren danach ins freie Gelände gelangt.
»Wie lange müssen wir noch hier herumholpern?«, fragte Johnny, dem es allmählich langweilig wurde.
»Wir sind gleich da.«
»Genauer.«
»Johnny, du nervst.«
»Das sehe ich nicht so.«
»Gut.« Jenny nahm eine Hand vom Lenkrad. »Der Wald da hinten an der rechten Seite, das ist unser Ziel. Da hört auch der Weg auf.«
Johnny musste lachen. »Weg nennst du das? Hör auf, das ist nicht mal ein Pfad. Sei froh, dass er recht trocken ist, sonst hättest du dich hier längst festgefahren.«
»Ja, ja, so ist das. Man erfreut sich an den kleinen Dingen.«
»Eben.«
Johnny sagte nichts mehr. Von der hinteren Bank hörte er ein Kichern.
Das Licht des Mondes schien sich auf die Geschlechtshormone der beiden ausgewirkt zu haben. Aber besser das, als sich in einen Werwolf zu verwandeln und Menschen anzufallen.
Es war ganz natürlich, dass Johnny diese Gedanken kamen, wenn er hoch zum Mond schaute. Er hatte in seinem Leben einfach schon zu viel erlebt. Wenn andere Menschen romantischen Gefühlen nachhingen, kam ihm der Gedanke an die Werwölfe, denen er in seinem Leben schon öfter begegnet war. Er dachte zudem an eine bestimmte Wölfin, an Nadine Berger, die Wölfin mit der
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