1505 - Der blinde Blutsauger
Mir ist der Baron nur ein Begriff. Daran sollten wir uns halten. Alles andere kannst du vergessen.«
»Dann weiß ich ja, wo ich ihn finden kann«, sagte ich.
Die Cavallo hob beide Hände. »Freu dich nicht zu früh. Es ist nur eine Möglichkeit. Vielleicht eine sehr wahrscheinliche. Aber ich denke jetzt so wie du, John. Wenn er sich tatsächlich in diesem Blindenheim aufhält, warum hat man das akzeptiert? Warum hat man nichts gesagt? Warum hat die offizielle Leitung des Heims nichts verlauten lassen? Da ich euch Menschen kenne, wäre das eine völlig normale Reaktion gewesen.«
Da musste ich ihr zustimmen.
»Also sollte man vorsichtig sein. So einfach wird man nichts zugeben, denke ich.«
»Da kannst du recht haben. Aber mich würden auch die Hintergründe interessieren. Ist er nun ein Adliger oder hat er sich diesen Titel einfach nur zugelegt?«
»Das muss man noch herausfinden. Ich kenne ihn ja nicht persönlich und weiß auch nicht seinen richtigen Namen. Aber ich kenne alte Geschichten, wenn auch nicht so genau.«
»Weißt du denn, wie alt er ist?«, fragte Jane.
»Nein.«
»Und woher kommt er?«
Die Cavallo lachte. »Das weiß ich auch nicht. Man sagt, dass seine Herkunft im Dunkeln liegt.« Sie lächelte breit. »Vampire kennen kein Nationalbewusstsein. Sie sind international. Das solltet ihr nicht vergessen. Er kann durchaus aus einem Land stammen, das im Osten liegt, was letztendlich egal sein dürfte.«
»Das ist wahr.«
Sie lächelte weiter. »Und trotzdem freue ich mich, dass es ihn noch gibt. Es ist doch wirklich spannend, zuzusehen, wie er sich in dieser modernen Zeit zurechtfindet.«
»Dazu noch ein Blindenheim«, meinte Jane.
»Du sagst es.«
»Das werde ich herausfinden, wenn ich ihm gegenüberstehe«, erklärte ich und drückte mich aus dem Sessel in die Höhe.
»Willst du los, John?«
Ich nickte Jane zu.
»Dann gehe ich mit und…«
»Nein, nein, lass es bitte. Ich möchte nicht auffallen. Es wird mein erster Besuch sein, und ich denke nicht, dass man mir die Schubladen mit allen Wahrheiten öffnen wird. Aber ich möchte mir einen Überblick verschaffen und dann darüber nachdenken, was man genau unternehmen kann.«
Jane war einverstanden. Die Cavallo sagte nichts. Dafür stand sie auf und bewegte sich auf die Tür zu. »Ich denke, dass ich hier überflüssig bin.«
Eine Antwort bekam sie nicht, und sie verließ das Zimmer, in dem Jane und ich zurückblieben.
»War es richtig, dass du sie eingeweiht hast, John?«
»Ich denke schon.«
»Aber du hast sie damit auch auf eine Spur gebracht, finde ich. Wenn du mich fragst, dann wird sie dir in diesem Fall noch irgendwann über den Weg laufen, daran glaube ich fest. Jetzt hat sie was zu tun. Und ein mit blinden Vampiren gefülltes Heim ist auch für sie neu.«
»Genau, Jane, wie für mich…«
***
Es war der Biss gewesen. Nur kurz und kaum schmerzhaft. Der Schatten in der Dunkelheit, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte und plötzlich über ihr gewesen war.
Stella Doyle hatte keine Luft mehr bekommen. Etwas Schweres war auf ihrem Körper gelandet und hatte ihn fest gegen die Matratze gedrückt.
Keine Chance zur Gegenwehr.
Sie hatte einen Geruch wahrgenommen, der nach alten Lumpen stank, und dann war es zu diesem Kontakt gekommen. Der Biss in die linke Halsseite. Das Schmatzen und das würgende Geräusch, und sie hatte gespürt, wie etwas aus ihren Adern rann und vom Mund des anderen aufgesogen wurde.
Jemand trank ihr Blut!
In dieser Nacht war Stella Doyle nicht richtig wach geworden. Sie hatte auch nicht fest geschlafen. In den folgenden Stunden, die ihr endlos erschienen, war sie in einen Dämmerzustand geraten, aus dem sie auch am anderen Morgen nicht richtig erwacht war, denn sie hatte sich schrecklich kaputt gefühlt.
Obwohl es Winter war und dicke Wolkenberge die Sonne verdeckten, war ihr das Tageslicht unangenehm gewesen. Nach dem Aufstehen hatte sie die Vorhänge nur halb zur Seite gezogen. Das alles war mit schweren Bewegungen geschehen, und ebenso schwer waren ihre Beine. Sie fühlte sich völlig matt wie jemand, der von einem starken Grippevirus erfasst worden war. Nur traf das bei ihr nicht zu. In der Nacht war mit ihr etwas anderes passiert. Ein Besucher hatte sich in ihr Zimmer geschlichen und ihr etwas angetan.
Stella Doyle aber musste fit sein. Die Heimleitung war kein Kinderspiel.
Es gab viele Aufgaben zu erledigen, die täglich anfielen. Kein Tag verlief so wie der andere. Es gab immer wieder
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