1508 - Der Templerjunge
besonderen jungen Menschen herangewachsen.
Marita schloss ihren Sohn immer in ihre Gebete mit ein. Das tat sie auch in diesem Fall.
Imre hörte es. Er musste sich zusammenreißen, um die Tränen zurückzuhalten.
Er liebte seine Mutter.
Sie war ihm hoch und heilig. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er ohne sie zurechtkommen sollte. Er hing an ihr, würde nie von ihr weggehen oder es zulassen, dass ihr etwas Schlimmes angetan wurde.
Ihr Gebet erstarb. Die letzten Worte hatte sie nur noch undeutlich gesprochen, und der Junge wusste, dass seine Mutter gleich in einen tiefen Schlaf fallen würde. So war es immer, so würde es auch heute sein.
Er wollte nicht behaupten, dass von nun an seine Zeit gekommen war, aber so ähnlich war es schon. Das Besondere in ihm würde zum Vorschein kommen, und wenn er ehrlich war, fürchtete er sich davor.
Aber er konnte nichts dagegen tun. Es war besser, wenn er liegen blieb und alles auf sich zukommen ließ.
Seine Mutter schlief. Er hörte ihre ruhigen Atemzüge. So würde es auch bleiben. Irgendwann in den frühen Morgenstunden würde sie wieder erwachen, wahrscheinlich mit Kopfschmerzen. Unter ihnen hatte sie in der letzten Zeit öfter zu leiden gehabt.
Imre lag weiterhin wach.
Den Blick hatte er gegen die Decke des Wohnwagens gerichtet. Er sah nicht viel, nur eine graue Fläche, die konturenlos geworden war.
Er lag nicht in einer völligen Finsternis. Von irgendwoher sickerte schon etwas Helligkeit in den Wagen, und so nahm er die Umrisse der Möbelstücke schwach wahr.
Er wartete. Die Hände hielt er vor der Brust gefaltet. Im Gegensatz zu seiner Mutter betete er nicht. Für ihn war ein bestimmtes Ereignis wichtig, das kommen würde.
Seiner Mutter hatte er nichts Konkretes von den Begegnungen erzählt.
Imre wollte allein damit fertig werden, und es ging auch nur ihn etwas an.
Eine Hilfe hätte er schon gebrauchen können, doch er wehrte sich dagegen. Er wollte keinen anderen Menschen in Gefahr bringen, schon gar nicht seine über alles geliebte Mutter.
Imre wusste auch, dass er etwas Besonderes war. In ihm steckten Kräfte, die er nicht allein seiner Mutter zu verdanken hatte. Da waren noch andere Erbeigenschaften hinzugekommen, und mit ihnen musste er leben, ob er es nun wollte oder nicht.
Je mehr Zeit verging, umso stärker entwickelte sich in ihm die Spannung. Sein Blick fraß sich in die Dunkelheit hinein, denn er wusste, dass aus ihr jemand kommen würde, um Kontakt mit ihm aufzunehmen.
So war es immer gewesen, und so würde es auch in dieser Nacht wieder ablaufen.
Kam er? Kam er nicht?
Er war da!
Sehr schnell, sehr plötzlich, und Imre Kovec spürte, wie er im Liegen zusammenzuckte. Für einen Moment trocknete seine Kehle aus, und es fiel ihm auch schwer, Atem zu holen.
Vor ihm in der Luft schwebte ein Augenpaar!
Das gehörte ihm. Von der Farbe her sah es gelb aus oder auch weiß.
Ein Mischmasch aus diesen beiden Farben. Keine normale Augenfarbe eines Menschen, aber er musste sich zugleich die Frage stellen, ob dieser Besucher ein Mensch war.
Zunächst einmal war er Imres Vater!
Der Junge wusste es. Daran ging kein Weg vorbei. Es war ihm nicht von seiner Mutter gesagt worden, sondern von dieser Erscheinung selbst, die er nicht als Mensch ansah. Sie war etwas, das außerhalb des Menschseins existierte, und der Junge hatte verzweifelt versucht, sich diesen Besucher zu erklären.
Er hatte keine Erklärung gefunden. So blieb ihm nur der eine Begriff, nämlich das Wort Vater.
Er hatte seine Mutter nicht direkt eingeweiht. Er hatte ihr davon nur wie nebenbei berichtet, aber sie wusste wahrscheinlich Bescheid und war unfähig, etwas dagegen zu unternehmen.
Er war da. Er bewegte sich nicht, und Imre hatte seine Augen weit geöffnet. Wie bei jeder ihrer Begegnungen versuchte er, mehr zu erkennen, und wie immer blieb er erfolglos.
Er sah das harte Schimmern der Augen. Sie blieben im grauen Hintergrund.
Wenn er sich noch genauer konzentrierte, nahmen seine Augen die Konturen der Gestalt wahr. Eine menschliche Form, sehr groß mit weichen, fließenden Umrissen.
Er hatte bisher keine Hände gesehen, kein richtiges Gesicht, aber es war einmal ein Hintergrund erschienen. Etwas Helles, ähnlich wie eine Leinwand, auf der sich etwas bewegt hatte, das für den Jungen nicht genau zu erkennen gewesen war.
Obwohl ihm die Gestalt nichts getan hatte, fürchtete er sich vor ihr. Das war kein Vater, wie man ihn sich wünschte, und manchmal fragte sich Imre, ob er
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