1510 - Der Hexenbrunnen
verdammt. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist.«
Ich hob die Schultern. »Was soll ich Ihnen dazu sagen? Es gibt Vieles, was sich hinter den sichtbaren Dingen verborgen hält. Das müssen Sie mir glauben.«
»Jetzt schon.« Rice deutete auf den Toten. »Können Sie mit ihm noch etwas anfangen? Oder brauchen Sie ihn nicht mehr?«
»Nein.«
»Dann soll der Tote so begraben werden?«
»Ja.«
»Und wie sehen Sie die drei Fratzen? Haben Sie dafür eine Erklärung?«
Ich hatte eine Erklärung, doch ich traute mich fast nicht, sie auszusprechen.
»Was ist denn?«
»Gut.« Ich nickte dem Kollegen zu. »Es wäre unter Umständen möglich, dass dieser Tote nicht so tot war, wie man es sich vorstellt. Das ist zwar etwas naiv ausgedrückt, aber ich möchte Ihnen schon ein plastisches Bild aufzeigen.«
»Das verstehe ich nicht. Der Arzt hat das Gegenteil behauptet, und darauf verlasse ich mich.«
»Ein Toter in Wartestellung«, sagte Suko.
Das hatte bei dem Kollegen eingeschlagen. Er fuhr zu Suko herum und schaute ihn beinahe wütend an. »Jetzt übertreiben Sie aber. Bei allem, was recht ist.«
»Mag sein. Aber denken Sie an die Zeichen. Sie stehen für eine Macht, die man nicht unterschätzen darf. Es gibt wirklich so etwas, was die Menschen Hölle nennen.«
Rice überlegte. Dabei wurde er immer blasser und sah mehrmals auf die Leiche. Nach einigen tiefen Atemzügen flüsterte er: »Meinen Sie denn, dass dieser Mensch sich plötzlich erhebt und von den Toten aufersteht?«
»Das war im Endeffekt wohl Sinn der Sache gewesen. Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass die Hölle eine sehr große Macht besitzt. Möglicherweise war das nur die Vorstufe. Jetzt können Sie sicher sein, dass dieser extreme Fall nicht mehr eintrifft.«
Kevin Rice sagte nichts mehr. Bei ihm waren die Grenzen des Verstands oder des Begreifens erreicht. Er schüttelte nur den Kopf, ohne noch einen weiteren Kommentar von sich zu geben. Für ihn jedenfalls war es einfach nur schrecklich.
»Wie gesagt«, beruhigte ihn Suko. »Jetzt läuft alles wieder normal.«
»Ja, was Sie so als normal bezeichnen.«
»Mehr können wir nicht sagen.«
»Schon gut.« Er schob die Bahre wieder zurück in das Kühlfach und schloss auch die Klappe. »Eines weiß ich«, sagte er noch. »Ich werde dafür Sorge tragen, dass nichts von dem, was ich hier erlebt habe, an die Öffentlichkeit gelangt. Darauf können Sie wetten.«
»Ja, das ist auch besser.«
Wir gingen zurück in den Nebenraum. Dort saß der Arzt mit seinem Assistenten.
Beide hielten mit Gin gefüllte Gläser in den Händen und leerten sie, als wir eintraten.
Der Doc schaute uns an. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, winkte aber ab.
»Behalten Sie es hier in diesen vier Wänden«, riet ich ihm. »Lassen Sie nichts davon nach draußen dringen.«
»Darauf können Sie sich verlassen.« Er pustete die Luft aus. »So etwas ist mir noch nie passiert, verdammt. Das ist, als hätte man mir einen Schlag gegen den Kopf versetzt, der alles auslöscht, was darin an Wissen vorhanden ist. Aber Sie haben recht. Ich werde nichts sagen. Man würde mir sowieso nicht glauben.«
»Das denke ich auch.«
Hier unten hatten wir nichts mehr verloren. Auch Kevin Rice war froh, die unwirtlichen Räume verlassen zu können, die seltsamerweise fast immer im Keller lagen.
Wir fuhren nur eine Etage höher. Dort befand sich der Eingang. Zurück in Rices Büro mussten wir nicht mehr.
Rice stand vor uns und fragte: »Was haben Sie jetzt vor, meine Herren? Für Sie ist der Fall doch noch nicht beendet - oder?«
»Stimmt«, sagte Suko. »Wir werden jetzt dorthin fahren, wo der Mann gelebt hat und da versuchen, eine Spur aufzunehmen.«
Rice überlegte einen Moment. Dann meinte er: »Das hätte ich auch getan. Wenn es eine Chance gibt, mehr herauszufinden, dann sicherlich dort. Es ist auch nicht sehr weit von hier. Nur liegt das Kaff sehr einsam. Touristen verirren sich nur selten dorthin. Es gibt dort keine Küste, keinen Strand, und die Leute dort sind auch sehr komisch.«
»Was heißt das?«
»Verschlossen, Suko. Als Fremde haben Sie kaum eine Chance. Wir haben die Atmosphäre gespürt, als wir in Gaerwen waren und den Toten abholten. Dort war es ähnlich wie in einer Kältekammer.« Er lachte.
»Das werden Sie ja selbst erleben.«
»Und was ist mir dieser Erin Kendali, der Witwe?«, fragte ich.
»Die war mit ihren Nerven am Ende. Und ich denke nicht, dass sie sich schon von dem Schock erholt
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