1511 - Der letzte Engel
letzte Engel noch nicht zurückgekehrt war, konnte ich mir die Wartezeit verkürzen.
Ich kannte seine Handynummer, die nur wenige wussten, und so tippte ich sie ein. Sir James meldete sich recht schnell. Als er seinen Namen nannte, war zu hören, dass er mit vollem Mund sprach.
»Sorry, Sir, aber…«
»Das macht nichts, John. Sprechen Sie.«
Zunächst wollte ich wissen, ob es von Suko Neuigkeiten gab. Sir James musste verneinen, was mich nicht eben happy stimmte. Dann kam ich darauf zu sprechen, was mir widerfahren war, und wieder hörte er zu, ohne mich zu unterbrechen.
Bis er sagte: »Dann ist es also doch wahr. Es gibt den Engel, der in Ihnen einen Zeugen sieht.«
»Genau, Sir. Zwar war ich bei der Aktion nicht zugegen, aber ich denke nicht, dass sich dieser Archie Ungone die Geschichte ausgedacht hat.«
»Ja. Und was tun Sie jetzt?«
»Warten, Sir. Es ist erst der erste Streich gewesen, um es mal locker zu sagen. Es werden noch einige folgen, kann ich mir zumindest gut vorstellen.«
»Und Sie wollen dabei sein?«
»Möglicherweise muss ich es.«
»Ja, das erscheint mir auch so. Dieser Engel wird nicht von seinem Plan ablassen. Wenn Sie sich bei den Aktionen nicht gerade in Lebensgefahr begeben, dann soll es mir egal sein.«
»Ich werde schon auf meinen Kopf achten.«
»Tun Sie das, John.«
Das Gespräch war vorbei. Ich steckte mein Handy wieder weg und dachte erneut über den Fall nach. Dabei suchte ich auch nach einer Parallele, mit der ich das Auftauchen des Engels vergleichen konnte, und tatsächlich fiel mir etwas ein.
Ein Name: Raniel!
Er war der Halbengel. Er nannte sich selbst »der Gerechte«, und an seiner Seite hatte ich schon ähnliche Dinge erlebt. Ich brauchte nur daran zu denken, wie es uns gelungen war, die Kinder zu retten, die er in einer Schule als Geiseln genommen hatte.
War dieser X-Ray oder waren seine Taten mit denen des Gerechten zu vergleichen?
In der Welt, in der er sich bewegte, war einfach alles möglich. Dort wurden oft eherne Gesetze auf den Kopf gestellt, und ich musste dies akzeptieren.
»So nachdenklich, John?«
X-Rays Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Um den Engel zu sehen, musste ich den Kopf nach rechts drehen. Wie zum Sprung bereit hockte er auf der Krone der Mauer. Ich sah wieder diese Person vor mir, die zwar einen Frauenkörper hatte, die ich allerdings nicht als eine normale Frau ansehen konnte.
»Was bleibt mir anderes übrig.«
»Du hast über mich nachgedacht?«
»Mehr über uns beide.«
Er sprang lässig von der Mauer. »Und? Was ist dabei herausgekommen?«
»Leider nicht viel, und das ist auch kein Wunder, denn ich weiß einfach zu wenig.«
»Das gebe ich zu.«
»Dann wäre es doch an der Zeit, mich aufzuklären.«
X-Ray lachte. »Nein, ich will dich nicht mit meinen Problemen belasten. Es ist schon gut, dass du zugegen bist und auch bezeugen kannst, was ich getan habe.«
»Moment, ich habe noch nichts gesehen.«
»Aber etwas gehört.«
»Ja, das schon.« Ich stellte ihm eine etwas provozierende Frage. »Ich weiß nicht, ob das für mich reicht. Ich meine, dieser eine Fall, den ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Deshalb wäre es besser, wenn ich bei einer deiner Aktionen mal dabei sein könnte. Dann kann ich wirklich für dich zeugen.«
Ich hörte sie oder ihn lachen. Aber es war nur ein leicht schrilles Kichern.
Er sagte danach: »Dein Wunsch kommt nicht überraschend, John Sinclair. Ich war sogar darauf vorbereitet.«
»Und weiter?«
»Es ist okay.«
»Ich bin als beim nächsten Mal dabei?«
»Davon gehe ich aus, denn ich benötige dich wirklich als Zeugen. Ich will endlich wieder das Licht sehen.«
»Und was hat dich davon vertrieben?«
»Es ist eine persönliche Geschichte. Ich habe mich aus dem Kreis gelöst, weil ich auch die andere Seite erleben wollte.«
»Hast du das?«
Er nickte. »Ich habe sie erlebt. Ich sah auch das Grauen. Ich schmeckte das Böse und muss gestehen, dass es mich fasziniert hat. Und sehr bald war ich mir nicht mehr sicher, zu welcher Seite ich eigentlich gehöre. Das haben die anderen gemerkt und mich verstoßen.«
»Was war denn das Böse, das du gesehen hast?«
»Die Hölle, John Sinclair. Ich war in der Hölle. Zwar nur am Rande, aber immerhin. Und ich habe mich nur mit Mühe von ihr lösen können, aber sie konnte mich leider prägen. Zum Teil jedenfalls. Und das will ich jetzt wieder loswerden.«
»Ich verstehe dich. Wer immer auf der anderen Seite gestanden hat, der ist schwer
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