1516 - Totenlichter
gnadenlosen Präzision das Ziel…
***
Ich hatte wirklich gut geschlafen und war noch immer nicht so richtig wach, als ich die Treppe im kühlen Flur des Anbaus, in dem die Zimmer des Gasthofs lagen, hinab ging. Wer hier wohnte, musste in der Gastwirtschaft frühstücken.
Ich passierte eine dunkelhäutige Frau, die den Boden wischte.
Harry Stahl saß schon am Tisch. Er aß noch nicht, er telefonierte. Ich hörte, dass er zweimal den Namen Hinz erwähnte, und war gespannt, was es für Neuigkeiten gab.
Auf dem Holztisch standen zwei Platten mit Wurst und Käse.
Orangensaft gab es auch, ein Ei ebenfalls, und die große Kanne war mit Kaffee gefüllt. »He, auch schon auf?«
»Wie du siehst.« Ich rieb mir die Augen. »Obwohl ich gut geschlafen habe, könnte ich mich jetzt noch zwei Stunden hinlegen.«
»Tja, aber du bist nicht zu Hause. Da muss man sich schon den neuen Gegebenheiten anpassen.«
»Das wird es wohl sein«, murmelte ich und griff zu einem Brötchen, das hier Semmel hieß. Fünf verschiedene Wurstsorten standen zur Verfügung. Eine sah leckerer aus als die andere, aber ich schenkte mir erst mal eine Tasse Kaffee ein.
»Und?«, fragte ich Harry.
»Ich soll dir einen schönen Gruß von Dagmar bestellen.«
»Super, danke. Ich dachte nur, du hättest mit Hauptkommissar Hinz telefoniert. Das bekam ich zufällig mit.«
»Habe ich auch.«
»Dann ist der Fall gelöst - oder?«
»Nein, das ist er nicht.«
»Sie treten also auf der Stelle.«
»So kann man es sagen. Es wird wohl auf einen DNA-Test hinauslaufen, an dem sich alle Männer zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahren beteiligen müssen. Man hat festgestellt, dass das Alter des Täters in dieser Zeitspanne liegt.«
»Das ist immerhin etwas.«
»Aber leider nicht viel, ich weiß, John. Ich habe auch wegen anderer Dinge telefoniert. Hinz hat mir die Adressen der Jungen genannt, die wir als Zeugen haben. Die Jungen leben in einem Haus, so haben wir beide dicht beisammen.«
»Gute Arbeit«, lobte ich, nahm mir ein gekochtes Ei und drückte die Eierschale zusammen. »Haben wir schon einen Termin?«
»Nein, aber wir können vorbeikommen, wann immer wir wollen.«
»Das hört sich gut an. Da schmeckt es mir doch gleich besser. Mal hören, was die beiden gesehen haben. Hoffentlich etwas, das uns weiterhilft.«
»Da steckst du nie drin, John.«
»Stimmt auch wieder.«
Ich verspürte Hunger, schnitt eine Semmel in zwei Hälften und belegte sie mit Wurstscheiben. Es war alles sehr schmackhaft und machte Appetit auf mehr.
»Hast du dir in der Nacht mal über das Motiv Gedanken gemacht, John?«
»Nein, habe ich nicht. Ich habe nur geschlafen.«
»Hast du denn eine Idee?«
Ich setzte die Kaffeetasse ab. »Keine, die sich konkret umsetzen ließe. Da bin ich ehrlich.«
»Da können wir uns die Hand reichen. Und sonst?«
»Erst mal abwarten, was unser Besuch bei den Zeugen bringt. Ich weiß es noch nicht so recht, aber ich denke darüber nach, ob du nicht für eine Schutzhaft sorgen solltest. Wenn der Mörder nachdenkt, wird er an den beiden Zeugen nicht vorbeikommen.«
»Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht.«
»Und wie lautet das Ergebnis?«
Harry lächelte. »Vielleicht sind wir ihre besten Schutzengel, denke ich mir.«
»Wir können sie nicht Tag und Nacht bewachen.«
»Das ist schon richtig. Mir wäre es auch lieber, wenn sie uns auf die Spur bringen würden, andererseits sind es noch Kinder. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen.«
»Alles okay. Ich frage mich nur, was werden wir tun, wenn wir aus den Kindern nichts herausbekommen.«
»Dann versuchen wir es anders. Dann kümmern wir uns um Arno Wagners Vorleben. Wir können mit seinen Freunden und Bekannten reden, falls es welche gibt. Kann ja sein, dass er dem einen oder anderen etwas angedeutet hat. Aber das ist nur die zweite Option.«
Ich zuckte nur mit den Schultern. »Könnte uns der Bischof eine Hilfe sein?«, fragte Harry.
»Das glaube ich nicht. Aber auszuschließen ist nichts.«
Harry ließ mich meine Semmel aufessen und sagte dann mit leiser Stimme: »Mittlerweile frage ich mich, ob du unter Umständen hier nicht am falschen Fall hängst. Deine Spezialität ist das Jagen von Dämonen und ähnlichen Wesen. Bisher haben wir noch nichts in dieser Richtung herausgefunden.«
»He, willst du mich loswerden?«
»Nein, das nicht, aber die Idee kam mir vorhin.«
»Ich will dir was sagen, Harry«, erwiderte ich und vergaß dabei mein Frühstück. »Wenn es
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