1516 - Totenlichter
jeden Fluchtgedanken, aber sie brach nicht zusammen, sondern taumelte noch über die Schwelle.
Eine Bewegung zu viel. Schwindel erfasste sie. Ihre Knie gaben nach, und dann war es um sie geschehen.
Petra brach zusammen. Sie fiel auf die Knie und blieb in dieser Haltung.
Ihr Körper schwankte von einer Seite zur anderen, und sie wusste nicht, ob sie sich bewegte, ob es der Flur war, der in starke Schwankungen geriet. Jedenfalls war es mit dem Fluchtversuch vorbei. Der Killer würde sie nicht entkommen lassen.
Sie sah ihn nicht. Dafür hörte sie ihn. Er summte sogar ein Kirchenlied, als er hinter sie trat, seine Hände in ihre Achselhöhlen legte und sie auf die Beine zog.
»Na, hast du gedacht, du könntest mir entkommen? Kein Sünder schafft es, mir zu entgehen. Das solltest du dir merken…«
Petra hörte die Worte wie durch einen Filter. Die Welt war für sie eine andere geworden. Eingehüllt in graue Schatten, aus denen sich nur hin und wieder etwas hervor schob wie die kleinen Flammen der Kerzen, die sie als zuckende Funken wahrnahm. Aber sie wusste jetzt, dass der Kerl sie zurück in den Wohnraum geschleift hatte.
Dort hob er sie an und setzte sie in einen Sessel. Dabei vergaß er nie, die frommen Lieder zu summen, die ihn noch mehr anzutörnen schienen.
Zwar blitzten noch die Schmerzen in Petras Kopf auf, aber sie fühlte sich etwas besser, obwohl das Innere ihres Schädels wie eine bleierne Masse auf irgendeinem wackligen Bett zu liegen schien. Etwas passierte mit ihr. Sie wurde angefasst, sie spürte kalte Finger auf ihrer nackten Haut und stellte fest, dass man ihr den dünnen Bademantel auszog.
Der Hundesohn wollte sie nackt, und das war sie Sekunden später. Jetzt konnte er seine perversen Spiele mit ihr treiben, denn für eine Gegenwehr würde sie nicht mehr die Kraft aufbringen.
Er hob sie an.
In diesem Moment öffnete Petra Zimmer die Augen. Da er sich gebückt hatte, war es ihr möglich, direkt in seine Augen zu schauen und auch das Gesicht zu sehen.
Sie kannte ihn. Ja, sie hatte ihn schon mal gesehen. Das war - nein, auf den Namen kam sie nicht, aber er war ihr nicht unbekannt, da war sie sich absolut sicher.
Angst fraß sie innerlich fast auf. Ein schneller Ruck, dann war sie aus dem Sessel gehoben worden. Sie lag auf den Armen dieses Mannes und wenig später lag sie woanders.
Der Eindringling hatte sie auf den Tisch gelegt. Er war zwar länger als breit, aber nicht lang genug, sodass ihre Füße noch über die untere Kante hinweg hingen. Das dicke Glas gab seine Kühle an ihren Körper ab, aber nicht nur deswegen wurde sie von einem Schauer nach dem anderen geschüttelt.
Ihr Kopf war wund. Die Folgen des Treffers waren nicht so leicht zu verkraften. Die Schmerzen waren überall.
Aber sie sah ihn. Sie hörte ihn auch. Er umging den Tisch, und das Summen der Lieder hörte einfach nicht auf. Es begleitete sie wie eine akustische Wolke, wobei die Tonlage stets gleich blieb.
Und noch etwas passierte in ihrer Nähe. Der Killer beschäftigte sich mit den kleinen Lichtern. Er nahm sie von ihren Plätzen und stellte sie woanders hin. Sogar ein wenig erhöht, damit ihr Licht auf ihren nackten Körper fiel.
»Es ist perfekt«, lobte sich der Killer selbst. »Es ist alles so herrlich perfekt. Ich bin der Beste. Ich habe die Höllenfahrt vorbereitet, und nichts kann mich mehr aufhalten.«
Petra Zimmer hielt die Augen offen. So sah sie, dass sich der Mann um den Tisch herum bewegte.
Als er stehen blieb, erschrak Petra. Sie ahnte, dass dies nichts Gutes bedeutete, riss die Augen noch weiter auf und sah das Schreckliche.
Bisher hatte sich Petra keine Gedanken darüber gemacht, wie genau ihr Ableben aussehen würde, nun sah sie im Licht der Kerzen, was da über ihr schwebte.
War es ein Kreuz oder ein Messer?
Vielleicht sogar beides, und über dieser Waffe sah sie das Gesicht des Mörders.
Die Kapuze war ihm vom Kopf weggerutscht. Er zeigte sein Gesicht voll und war jetzt nur noch das grauenvolle Wesen, das unbedingt töten wollte.
Kein Gesicht mehr, eine Fratze, aus der der Fanatismus leuchtete. Böse Augen, gefüllt mit Mordlust, und eine Stimme, die einem fremden Wesen zu gehören schien.
»Ich werde dich töten! Ich werde dich im Namen der Gerechten des Himmels töten. Noch vielen wird es so ergehen wie dir, wenn sie nicht den geraden Weg gehen. Aus ist es mit dir - aus…«
Petra schrie.
Es war nur ein kurzer Schrei. Das kreuzartige Messer raste nach unten und traf mit einer
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