1516 - Totenlichter
Dort lag die Wohnung, die aus zwei Zimmern, einer Küche und einem kleinen Bad bestand. Ihr Vorteil war die gute Sicht, die das große Fenster zuließ, sodass sie über viele Dächer hinwegschauen konnte.
Vier Wohnungen gab es in dieser Etage. Petra Zimmer schloss ihre Tür auf und schleuderte, nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte, erst mal ihre Schuhe von den Füßen. Ihre Berufskleidung hatte sie schon an ihrem Arbeitsplatz abgelegt. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt mit verschiedenen Früchten als Aufdruck.
Die Luft im größten Raum war nicht eben optimal. Deshalb öffnete sie das Fenster, um durchzulüften, blieb stehen, schloss die Augen und atmete tief durch.
Ein leichter Film aus Schweiß lag auf ihrem Körper, und den wollte sie loswerden, bevor sie ins Bett ging. Da half nur eine Dusche.
Nachdem sie das Fenster geschlossen hatte, um den Mücken den Eintritt zu verwehren, ging sie ins Bad. Sie freute sich, die Kleidungsstücke fallen lassen zu können. Nackt trat sie in das Duschviereck hinein und war wenig später froh, als das heiße Wasser aus der Tasse auf ihren Körper strömte. Das lange Haar hatte sie unter eine Badekappe gesteckt, so wurde es nicht feucht.
Sie genoss das Wasser und auch das duftende Gel, das sie auf ihrer Haut verteilte.
Später schaute sie sich beim Abtrocknen im Spiegel zu und lächelte etwas mokant. Ja, sie konnte sich mit ihrer Figur durchaus sehen lassen.
Das war auch die Meinung ihrer Kunden oder Gäste, mit denen sie ab und zu ins Bett ging. Manche waren sehr großzügig gewesen und hatten sogar noch einen Schein draufgelegt.
Ihre Haut war noch nicht ganz trocken, als sie in einen dünnen weißen Bademantel schlüpfte. Ihre Füße fanden in flachen Badelatschen Platz.
Sie hätte jetzt ins Bett gehen können, aber sie wollte sich zunächst noch vor die Glotze setzen und ein wenig zappen. Um diese Zeit boten auch Kolleginnen von ihr ihre Dienste an. Oft waren sie jünger, und Petra verglich ihr Aussehen gern mit dem ihren.
Nichts ahnend betrat sie ihr Wohnzimmer, schob die Tür nach innen, ging einen Schritt vor und blieb stehen wie gegen die berühmte Wand gelaufen.
Was sie sah, war für sie nicht zu fassen. So hatte sie ihr Zimmer nicht verlassen, doch jetzt sah alles anders aus.
Vier Kerzen, durch Glasgefäße geschützt, gaben ihr Licht an verschiedenen Stellen ab. Nur hatte sie die Kerzen nicht aufgestellt und auch keine Dochte angezündet.
Wieso also waren sie jetzt…
Ihre Gedanken brachen ab, als sie dorthin schaute, wo der einzelne Sessel stand.
Er war nicht mehr leer. Dort saß eine Gestalt, die sie jetzt mit rauer Stimme ansprach.
»Komm näher, du kleine Hure, komm ruhig näher…«
Das war kein normaler Kunde. Wie hätte er auch in ihre Wohnung hineinkommen können? Die Tür war geschlossen gewesen. Also ein Einbrecher, nur wollte sie auch das nicht glauben, nach dieser schon sehr ungewöhnlichen Begrüßung. Über ihren Rücken rann es eiskalt hinab, und in Höhe des Magens breitete sich ein Druck aus, den sie bisher nur in Extremfällen erlebt hatte. Aber dies war ein Extremfall, dessen war sie sich sicher, und dieser Kerl war nicht erschienen, um Spaß mit ihr haben zu wollen.
Unwillkürlich raffte Petra die beiden Revers des dünnen Morgenmantels zusammen, was den Kerl zu einem Lachen animierte und zu einer provozierenden Frage.
»Bist du immer so prüde? Eigentlich doch nicht - oder?«
Petra Zimmer fand ihre Sprache wieder.
»Was soll das?«, flüsterte sie. »Wer sind Sie? Wie sind Sie in meine Wohnung gekommen, verdammt noch mal? Hauen Sie wieder ab!«
Der Mann lachte. Und dieses Lachen sorgte bei ihr für eine ansteigende Angst. Es klang so überheblich. So siegessicher. Als könnte diesen Typen nichts aus dem Konzept bringen.
»Ich bestimme, wann ich abhaue. Diese Nacht gehört mir, und du gehörst auch mir.«
»Ich schreie, wenn…«
»Dann bist du schneller tot, als du deinen Mund öffnen kannst, du kleine Hure. Und jetzt komm näher, aber schließe die Tür, sonst werde ich noch böse.«
Die Kellnerin war so konsterniert, dass sie kein Wort erwiderte. Sie tat, was der Kerl ihr gesagt hatte. Dabei rasten zahlreiche Gedanken durch ihren Kopf, aber nicht ein klarer war dabei.
Sie ging vor bis zum zweiten Sessel und legte ihre Hände auf die mit Leder umspannte Rückenlehne. Jetzt konnte sie besser sehen. Der Fremde saß ihr gegenüber. Nur der Tisch trennte sie, und sie erkannte, dass er den Sessel wie ein kompakter Schatten
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