1517 - Die Mondhexe
Luna winkte ab. »Frag lieber, was mit ihr geschehen sollte. Man hat sie und ihren Mann überfallen und ausgeraubt, und ich weiß nicht, ob man sie am Leben gelassen hätte. Ich habe mich dann um die beiden Verbrecher gekümmert, und niemand wird sie je wieder zu Gesicht bekommen. Sie sind zu Staub geworden, der sich im All verteilt hat.«
Anns Augen glänzten. Sie konnte das Gehörte kaum fassen. »Du hast AH gesagt?«
»Ja, warum?«
»Was hat das All damit zu tun?«
»Ganz einfach. Das Leben und auch das Licht entstammen dem All. Alles ist aus ihm entstanden, und ich habe das Alte von ihm auffangen können. Dieses wunderbare und uralte Licht, das schon längst in Vergessenheit geraten war, aber noch immer existiert, denn es geht nichts verloren. Der Mond strahlt es ab, und ich fange es auf.«
»Ja«, flüsterte Ann Clavell. »Aber was ist jetzt mit mir? Ich meine, ich habe - ich kenne schon so viel. Wir sind zusammengekommen und haben den Mond angebetet. Wir haben ihn gebeten, uns zu unterstützen, wir haben nach seiner Kraft gesucht, aber…«
Luna legte der Freundin einen Finger auf die Lippen. »Bitte, nicht so voreilig. Du musst warten können, aber ich bin sicher, dass du noch in dieser Vollmondperiode erhört werden wirst, und von mir wirst du einen Vorgeschmack bekommen.«
»Wann?«
»Sofort.«
Anns Herz klopfte schneller, und auf ihrem nackten Körper bildete sich trotz der Wärme eine Gänsehaut. Sie wusste nicht, was Luna mit dieser Antwort gemeint hatte, doch eine gewisse Vorfreude konnte Ann nicht verbergen.
Luna legte ihre Hände gegen die Wangen der anderen Frau. Es war nur ein leichter Druck zu spüren, nicht mehr, und man konnte ihn als angenehm bezeichnen.
Beide schauten sich tief in die Augen, als wollten sie zugleich ihre Seelen erforschen.
Ann Clavell wünschte sich, die gleichen Augen zu haben wie ihr Gegenüber. Das wäre perfekt gewesen, denn dann hätte sie das Licht des Mondes schon eingefangen gehabt.
»Öffne deinen Mund, Ann…«
»Ja, gern.« Sie gehorchte und schloss nicht die Augen, weil sie sehen wollte, was passierte.
Es war für sie so wunderbar. Aller Stress war vergessen. Jetzt gab es nur noch die Leichtigkeit, die Ann schon zuvor erlebt hatte, und zugleich eine tiefe Sehnsucht nach dem Neuen.
Luna öffnete ihren Mund. Das tat man, wenn man einen anderen Menschen küssen wollte. In Ann stieg der tiefe Wunsch hoch, einen Kuss von Luna zu bekommen, und so bewegte sie ihren Körper leicht nach vorn, was auch Luna tat.
Ihre Lippen fanden sich.
Ann schrak leicht zusammen. Im ersten Moment hatte sie den Eindruck, etwas Verbotenes zu tun, dann jedoch war alles anders, und sie streckte auch ihre Zunge nach vorn, was Luna mit einem schnellen Kopf schütteln abwehrte.
»Nein, nicht so.«
Ann zog sich zurück. Sie war enttäuscht und fragte: »Wie dann?«
»Lass nur deinen Mund offen.«
»Ja, gut.«
Wieder näherten sich ihre Lippen. Erneut verspürte Ann den leichten Druck des fremden Mundes, aber sie erlebte auch etwas völlig anderes, denn aus dem Mund dieser Frau empfing sie etwas Ungewöhnliches, das für sie fast heilig war.
Es war das Licht!
Es stellte plötzlich eine Verbindung zwischen ihren beiden Mündern dar.
Ein Schauer durchlief Anns Körper, und ein nie zuvor gekanntes Gefühl erfüllte sie.
Luna gab ihr etwas von ihrer Kraft ab. Jetzt schon, und das war so wunderbar.
Wie lange Ann Mund an Mund mit ihrer Freundin gesessen hatte, konnte sie nicht sagen. Es kam ihr wie eine kleine Ewigkeit vor, aber sie fühlte sich einfach nur gut.
Etwas war in sie eingedrungen. Der Teil einer uralten Mondkraft, und genau danach hatte sie sich so gesehnt. Deshalb war sie überhaupt dem Club beigetreten. Luna zog sich zurück. Das Lächeln blieb dabei auf ihren Lippen. Sie sagte nichts, sie stand auf und nickte Ann zu.
»Wir treffen uns bald wieder, das weißt du.«
»Ja, ich warte schon darauf.« Luna nickte lächelnd, drehte sich um und verließ das Zimmer, wobei Ann nicht genau feststellte, ob sie nun normal durch die Tür gegangen war oder durch die Wand.
Erst einige Minuten später fand sie wieder zu sich selbst, und sie bewegte leicht die Lippen, als sie etwas sagte, das nur sie hören konnte.
»Ich bin frei, und ich habe einen Teil der Kraft des Mondlichts in mir. Das ist so wunderbar, so einmalig. Ich könnte davonschweben. So gut fühle ich mich.«
Sie schwebte nicht davon, sie stand auf und hatte dabei das Gefühl, als wären alle Sorgen von ihr
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