1517 - Die Mondhexe
geschüttelt, und mit der nächsten Bewegung zog die Frau Archie zu sich heran.
Er prallte gegen ihren Körper. Luna ließ die Gelenke des Mannes los und schlang ihre Arme um seinen Nacken, sodass die beiden für einen Moment aussahen wie ein Liebespaar, das jedoch nicht in den Hafen der Glückseligkeit segelte, sondern in die schon apokalyptische Dunkelheit des Todes, aus der es für einen der beiden keine Rückkehr mehr gab.
Ann Clavell saß auf der Couch und starrte auf die beiden. Dass sie nackt war, wurde ihr nicht mehr bewusst. Jetzt schaute sie nur zu, was mit ihrem Mann geschah, den sie in den letzten Jahren so gehasst hatte.
Die Macht und die Kraft des Mondes stellte sich nun gegen ihn.
Ann Clavell sah, wie sich der Körper ihres Mannes veränderte. Für eine Weile blieb er noch normal, aber es war bereits zu sehen, wie sich das Licht aus der Frau löste und als gelber Schein in Archies Körper eindrang.
Genau da passierte es.
Das Licht zerstörte alles. Es war so stark, dass es den Körper des Mannes auflöste. In seinen Umrissen war er noch für einen Moment zu sehen, und es sah aus, als bestünde er aus unzähligen winzigen Partikeln, die noch die Körperform beibehielten.
Es gab keinen Windstoß, der gegen beide fuhr, aber es sah für Ann so aus, als wären die Reste von Archies Körper von einem Windstoß erfasst und weggeweht worden.
Einen Atemzug später gab es Archie nicht mehr!
Ann Clavell hockte unbeweglich auf der Couch. Sie starrte dorthin, wo ihr Mann eben noch gestanden hatte, aber da war nichts mehr. Nur Luna stand noch dort, und Ann musste begreifen, dass die Zeit der Quälereien und Demütigungen vorbei war.
Etwas schüttelte sie durch. Es war ein innerlicher Lachkrampf, wobei das Geräusch zuerst nicht zu hören war, sich dann aber freie Bahn verschaffte.
Lachen…
Nein, das war schon ein Gelächter, wie es ein Mensch nicht alle Tage von sich gab.
Sie konnte einfach nicht mehr an sich halten. Freie Bahn für die Erleichterung.
Dass es ihren Mann nicht mehr gab, störte sie nicht die Bohne.
Sie war jetzt allein, und vor ihr lag ein neues, ein wunderbares Leben ohne Archie.
Das Lachen hallte immer lauter durch das Zimmer, bis es selbst Ann zu viel wurde und sie eine Hand auf ihre Lippen presste, um es zu ersticken.
Sie hatte gewonnen.
Ein Traum war in Erfüllung gegangen.
Von Archie gab es keine Spur mehr. Er war verschwunden und würde es bleiben, und man würde keine Spur mehr von ihm finden, auch wenn sich eine Armee von Polizisten auf seine Fährte setzte.
Er war einfach nicht mehr vorhanden. Dafür aber ihre Freundin Luna, die alles zu verantworten hatte. Sie hatte sich nicht vom Fleck bewegt und lächelte die Frau auf dem Sofa an.
»War es richtig?«, fragte sie mit leiser Stimme.
Zuerst nickte Ann, dann gab sie ebenso leise die Antwort.
»Ja, es war richtig. Es war sogar sehr unumgänglich. Ich kann endlich wieder aufatmen, und das ist etwas Wunderbares. Von nun an beginnt mein neues Leben unter dem Einfluss des Mondes.«
»Das stimmt«, sagte Luna.
Sie bewegte sich auf Ann Clavell zu. Dabei leuchteten ihre Augen in einem warmen gelben Schein. Ihr Gesicht zeigte schon beinahe eine Verklärung, und der Ausdruck blieb auch bestehen, als sie sich neben Ann Clavell auf dem Sofa niederließ.
Beide schauten sich an. Beide lächelten. Es gab keinen Störenfried mehr, und Ann flüsterte: »Du bist schon viel weiter als ich. Du hast das wunderbare Licht trinken können. Ich hoffe, dass ich den gleichen Weg gehen kann wie du.«
Luna streichelte an ihren Wangen entlang.
»Das wird auch so sein«, versprach sie. »Du stehst dicht davor. Doreen wird uns allen den richtigen Weg weisen.«
Ann legte ihre Hände auf Lunas nackten Oberschenkel. »Und was spürst du dabei? Sag es mir. Wie sieht es in dir aus?«
»Wunderbar, meine Liebe. Ich werde von der Leichtigkeit des Lichts getragen, dem sich schon immer Menschen anvertraut haben. Das ist nur vergessen worden. Aber wir haben es zurückgeholt, und du wirst davon ebenso profitieren wie auch die anderen.«
»Wann denn?«
»Sehr bald schon.« Luna hob einen Finger. »Aber ich muss dir noch etwas mit auf den Weg geben, meine Freundin. Wenn das Mondlicht sich in dir festgesetzt hat, dann hast du damit auch eine Verantwortung übernommen. Du musst anderen Menschen beistehen. Ich habe dir beigestanden, aber ich habe es auch bei Edna getan und…«
»Edna Brighton, meinst du?«
»Ja.«
»Aber was ist mit ihr geschehen?«
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