1519 - Das Leichenbild
geschehen.«
»Aber dafür haben nicht Sie gesorgt?«
»Nein.«
»Wer dann?«
»Ihre Eltern. Sie hat immer engen Kontakt zu ihnen gehabt.«
»Hatten Sie noch Kontakt zu ihren Schwiegereltern nach dem Tod Ihrer Frau?«
»Nein, keinen mehr. Sie waren nur dabei, als der Prozess gegen mich lief. Ich habe sie bei der Verhandlung gesehen, Mr Sinclair, und ich sah noch nie so viel Hass in den Augen von Menschen wie bei ihnen.«
»Das kann ich mir denken.«
Jackson setzte sich aufrecht hin. »Hass und Verachtung. Aber auch so einen Ausdruck wie: ›Wir rechnen noch mit dir ab, verlass dich darauf!‹« Er hob die Schultern. »Und das ist ja passiert. Oder zumindest ein Anfang davon. Man will mir keine Ruhe lassen. Ich soll doppelt bestraft werden. Ich soll leiden.«
»Ja, das sehe ich auch so, Mr Jackson.«
»Und was sagen Sie zu allem? Halten Sie mich für übergeschnappt?«
»Ich denke nicht.«
Mein Gegenüber schloss die Augen. Dann lehnte er sich so weit zurück, bis er mit seinem Rücken die Wand erreichte, und ich sah, dass er anfing zu weinen.
Für mich war das genau der Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich es nicht mit einem Schauspieler zu tun hatte. Er war ein Mensch, der tatsächlich litt und der zugleich etwas Schlimmes und Unfassbares erlebt hatte.
Er trocknete seine Tränen mit den Fingern und fragte mit rauer Stimme: »Werden Sie mir helfen?«
»Nun ja, ich kann es versuchen.«
»Und wie? Haben Sie schon einen Plan?«
»Nein, den habe ich nicht direkt. Man kann da von Ansätzen sprechen. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich in Amys Heimat fahre und dort recherchiere. Sie müssten mir noch den Ort nennen, in dem Amy ihr Grab gefunden hat.«
»Ja, das ist kein Problem. Der Ort heißt Blackwater.«
»Ist mir leider unbekannt.«
»Er liegt im Südwesten der Insel. Sagt Ihnen der Name Wexford etwas, Mr Sinclair?«
»Ja. Wenn mich meine Geografiekenntnisse nicht täuschen, gibt es dort sogar einen Flughafen.«
»Genau. Zwar keinen internationalen, aber für den Hausgebrauch reicht er voll und ganz aus.«
»Und Blackwater ist ein Kaff?«
»Ja, mit ganz eigenen Menschen. Der Ort liegt fast an der Küste. Für Urlauber interessant, wenn sie Ruhe haben wollen. Nicht aber für einen Menschen wie mich. Amy ist dieses Kaff irgendwann einmal zu eng geworden, deshalb ging sie fort. Aber sie wollte dort begraben werden, denn tief in ihrem Herzen ist sie immer eine Irin geblieben.«
»Es ist gut, dass Sie mir das gesagt haben.«
»War doch selbstverständlich. Ich will endlich Ruhe haben, Mr Sinclair. Ich will, dass die Welt erfährt, dass Amys Tod ein Unglück war und ich sie nicht mit Absicht getötet habe.«
»Das verstehe ich, Mr Jackson. Ich werde versuchen, was ich in dieser Hinsicht für Sie tun kann.« Das waren keine leeren Worte, denn ich wollte mich tatsächlich mit der Staatsanwältin Purdy Prentiss in Verbindung setzen, die zugleich eine gute Freundin von mir war.
»Danke, Sir, danke. Jetzt geht es mir besser.«
Ich winkte ab. »Schon gut, denn der Fall interessiert mich auch persönlich. Allerdings möchte ich Sie bitten, einem Experiment zuzustimmen, das ich mit Ihnen vorhabe.«
»Immer, Mr Sinclair.«
»Langsam. Mein Vorhaben hat etwas mit Ihrem Foto zu tun. Und es könnte sein, dass es Schaden nimmt.«
Der Gefangene sagte zunächst nichts. Seinen Blicken entnahm ich, dass er nicht eben angetan von meinem Vorschlag war, und er richtete seinen starren Blick auf das Foto, das inzwischen neben ihm auf dem Bett lag.
»Ahm - Schaden nimmt?«
»Ja.«
»Und wie könnte es Schaden nehmen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es könnte sein, dass es zerstört wird oder verbrennt.«
»Wollen Sie es zerreißen?«
»Nein, Mr Jackson, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will das Foto nicht zerreißen. Ich will wirklich nur darauf hinweisen, dass es unter Umständen Schaden nehmen könnte.«
Der Gefangene senkte den Blick. Das Foto war für ihn ein wertvolles Indiz. Es einfach herzugeben war für ihn nicht leicht, und in seinem Innern kochte es.
»Sie müssen es nicht, Mr Jackson. Es ist nur ein Vorschlag von mir.«
Er sah mir offen ins Gesicht. »Ich will es aber, Mr Sinclair. Ja, Sie können mit ihm experimentieren, denn ich weiß, dass Sie sich extra herbemüht haben, um mit mir zu sprechen. Das hätte nicht jeder getan. Sie haben es getan, und deshalb tun Sie bitte, was Sie für richtig halten.«
»Danke.«
Mir schwebte natürlich etwas vor, das ich schon als
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