1519 - Das Leichenbild
rollten, er röhrte wie ein Tier, und er wusste, dass er in seinem linken Arm mehr Kraft haben musste als in seinem rechten.
Dabei rannen Tränen aus seinen Augen, die das nahe Gesicht seiner Frau verschwimmen ließen.
»Warum nur?«, keuchte er. »Warum nur, verflucht noch mal? Was habe ich denn falsch gemacht?«
»Alles!«, brüllte sie ihm ins Gesicht. »Du verdammter Hundesohn hast alles falsch gemacht!«
Sie war nicht mehr zu stoppen. Sie wollte seinen Tod, und er musste das verhindern. Als sollten sie für einen Maler Modell stehen, so starr standen sie sich gegenüber. Jeder spürte den Hass des anderen, und Ebby Jackson erlebte in diesen verdammten Augenblicken, welch eine Kraft in seiner Frau steckte.
Sie brachte den Arm mit der Waffe hoch. Stück für Stück, und Ebby versuchte verzweifelt, dagegenzuhalten. Er schaffte es nicht. Amy setzte ihre schon übermenschlichen Kräfte ein und begleitete den Vorgang mit keuchenden Atemzügen und schrillen, kieksenden Lauten.
Sie würde gewinnen, das musste Ebby allmählich einsehen. Aber er wollte noch nicht aufgeben. Sich wehren bis zum letzten Atemzug, etwas anderes gab es für ihn nicht.
Der Kampf setzte sich fort. Es war Ebby gelungen, seine Frau gegen die Wand zu pressen. So war sie dort eingekeilt.
Aber ihre rechte Hand mit der Waffe wanderte höher. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie befand sich in Höhe seiner Brust. Dann musste sie nur noch etwas zur Seite gedreht werden, sodass die Mündung auf ihr Opfer zeigte.
Schaffte sie es? Schaffte sie es nicht?
Sie schaffte es noch nicht. Sie brachte ihren Arm zwar in Brusthöhe, nur gelang es ihr nicht, die Hand mit der Pistole so zu drehen, dass sie Ebby mit einer Kugel tödlich treffen konnte.
»Du wirst mich nicht töten«, keuchte er, »nein, du nicht! Und ich werde erst recht nicht zum Teufel fahren. Der Platz in der Hölle ist für dich reserviert. Du freust dich doch so darauf. Du bist doch so - so…« Ebby verstummte, weil er das Gefühl hatte, einen neuen Kraftschub erhalten zu haben, und den setzte er ein.
Er drehte die Waffenhand seiner Frau zur anderen Seite hin. Plötzlich zeigte die Mündung auf sie, fast auf ihren Hals.
Amys Augen weiteten sich. Sie sah das Verhängnis auf sich zukommen, und sie wollte es abwenden. Eine kleine Bewegung nur brauchte sie, und das schaffte sie auch.
Es war die falsche Bewegung, die falsche Seite, und ihr Zeigefinger zuckte, ohne dass sie es gewollt hätte.
Der Schuss löste sich.
Genau in diesem Moment schloss Ebby Jackson die Augen. Er wollte nicht sehen, was passiert war. Etwas rotierte in seinem Kopf, nur wusste er nicht, was es war.
Aber der Schuss hatte sich gelöst!
Einige Sekunden später fiel ihm auf, dass seine Frau nichts mehr tat. Sie sprach nicht, sie bewegte sich nicht, sie hing halb in seinem Griff, während er sie noch immer mit dem Rücken gegen die Wand drückte. Er öffnete die Augen. Und dann sah er das Blut!
Die Wunde befand sich dicht unterhalb der Kehle, wo noch kein Knochen getroffen werden konnte. Da sah er die dunkelrote Flüssigkeit hervorquellen, und als er den Blick anhob und das Gesicht seiner Frau betrachtete, wurde ihm klar, was tatsächlich passiert war. Ihre Augen waren ohne Glanz und ohne Leben. Das ließ nur einen Schluss zu. Amy war tot! Und ich habe sie erschossen!, dachte er…
***
Jackson wusste nicht mehr, wie lange er seine tote Frau festgehalten hatte. Das Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, doch er merkte bald, dass ihm Amys Leichnam zu schwer wurde. Er ließ sie los.
Amy sackte zu Boden. Es gab keine Glieder, die ihr noch Halt hätten geben können. Vor der Wand blieb sie liegen. Die Waffe hielt sie komischerweise noch immer fest, was Ebby störte. Er nahm sie ihr aus den Fingern und legte sie neben der Toten auf den Boden.
Sie ist tot!, schoss es ihm wieder durch den Kopf. Sie ist tatsächlich tot!
Amy lebt nicht mehr, und ich habe sie umgebracht!
Was tun?
Er entfernte sich rückwärts von der Leiche. Dabei ging er wie ein Schlafwandler, der sich unter dem Kreis eines vollen Mondes bewegte. Seine Augen waren starr. Sie glichen in ihrem Aussehen denen der Leiche, und in ihnen gab es kein Leben mehr, nicht mal einen Funken, der hätte überspringen können.
Er ließ sich in einen Sessel fallen. Amy hatte noch vor einer halben Stunde etwas getrunken und die Flasche mit dem Brandy nicht mehr in die Küche zurück gebracht. Sie stand noch auf dem Wohnzimmertisch und war für Ebby zum Greifen
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