1519 - Das Leichenbild
nah.
Der Trucker trank wenig Alkohol, das konnte er sich in seinem Job nicht erlauben. Jetzt war es etwas völlig anderes. Er schnappte sich die Flasche. Auf ein Glas verzichtete er. Er löste den Verschluss, setzte die Flasche an die Lippen und ließ die Flüssigkeit in seine Kehle gluckern. Er trank.
Und er trank viel. Als er die Flasche wieder wegstellte, hatte er den Eindruck, dass sich die Welt um ihn herum bewegte. Er beugte sich nach vorn, er konnte nur durch den offenen Mund atmen. Mehrmals stöhnte er auf, bevor er sich wieder aufrecht hinsetzte und nach vorn stierte.
Zwar war sein Gehirn benebelt, doch allmählich bekam er die grausame Wahrheit in den Griff.
Die leblose Person auf dem Boden war seine Frau. Ja, sie war seine eigene Frau, und er hatte sie umgebracht.
»Ha…« Ein erster Lacher drang aus seinem Mund. Danach ein zweiter, und wenig später vereinigten sich die Lacher zu einer ganzen Kette, zu einem Gelächter, das den Raum ausfüllte. Es war nicht zu fassen, er lachte weiter, bis er Laute ausstieß, die klangen, als würde er ersticken.
Er verschluckte sich, wobei er einen starken Hustenanfall bekam, der ihn vom Kopf bis zu den Füßen durchschüttelte. Der Brandy stieg dabei von seinem Magen hoch in die Kehle und hinterließ dort ein Brennen wie von einer starken Säure.
Bis er sich wieder gefangen hatte und klar denken konnte, dauerte es etwas. Ihm war schwindlig geworden, sodass er fürchtete, über die Lehne hinweg vom Sessel zu fallen. Mit beiden Händen klammerte er sich an den Lehnen fest und atmete so tief durch wie möglich, bevor es ihm gelang, wieder in einer normalen Position sitzen zu bleiben.
Erst jetzt schoss ihm durch den Kopf, was er wirklich getan hatte, und er wusste, dass sich sein Leben von nun an radikal verändern würde.
Er war zu einem Mörder geworden. An der Wand lag die Leiche seiner Frau. Er hatte Amy getötet, und er spürte ein Gefühl in sich hochsteigen, das er sich nicht erklären konnte. Ihm wurde übel, und er hätte am liebsten all seine Not und seinen Frust mit lauter Stimme hinausgeschrien.
Es würde ihn nicht weiterbringen. Er musste etwas ganz anderes tun. Mit einer großen Kraftanstrengung stemmte er sich in die Höhe. Sein Gesicht war dabei kalkbleich, und als er die ersten Schritte ging, hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten und nicht auf den Teppich zu fallen.
Er torkelte dorthin, wo ein Telefon auf dem kleinen Beistelltisch stand. Er nahm den Hörer ab und tippte mit zittriger Hand eine bestimmte Nummer. Der Notruf der Polizei war Tag und Nacht besetzt.
Auch jetzt meldete sich jemand.
Ebby Jackson musste mehrmals Anlauf nehmen, um überhaupt sprechen zu können. Dann presste er die Meldung hervor und hoffte, dass er verstanden wurde.
»Meine Frau ist tot, und ich habe sie erschossen…«
***
Sukos Albtraum war beendet, und wir alle waren froh, die Bedrohung abgewendet zu haben. Dabei hatte auch Shao mitgeholfen, und sie hatte bei unserem Chef Sir James interveniert und für Suko einige Tage Urlaub herausgeholt.
Ich gönnte sie ihm von ganzem Herzen, denn er hatte Schlimmes durchgemacht.
Ich ging weiterhin meinem Job nach und betrat auch an diesem Morgen das Büro, wenn auch mit ziemlicher Verspätung, denn rund um den Piccadilly war die Hölle los.
Man hatte in den frühen Morgenstunden vor einer Diskothek einen mit Sprengstoff gefüllten Wagen gefunden. Die Ladung war nicht explodiert.
Wäre das geschehen, hätte es Tote und Verletzte gegeben, und so war es nur ganz natürlich, dass die Stadt den Atem anhielt und nichts mehr so war wie sonst. Erinnerungen an die Anschläge in der Underground waren wieder hochgekocht. In der Stadt herrschte die höchste Alarmstufe. Es gab kaum jemanden, der nicht nervös war, auch Glenda Perkins, die es trotz der Behinderungen wieder mal geschafft hatte, früher im Büro zu sein als ich.
An diesem Tag empfing sie mich nicht mit einer spöttischen Begrüßung, sondern mit der Frage: »Auf was für einer Welt leben wir eigentlich, John?«
»Ich weiß es nicht.«
»Warum wollen diese verdammten Verbrecher Unschuldige töten? Und dann noch im Namen ihres Gottes! Kannst du mir das sagen?«
»Nein, denn so quer kann ich gar nicht denken. Aber wir müssen in der Zukunft damit leben, das hat auch der neue Premier gesagt.«
»Stimmt, ich hörte es auch.«
»Wo steckt Sir James?«
Glenda winkte mit beiden Armen ab. »Den wirst du heute wohl nicht zu Gesicht bekommen. Er und andere
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