1528 - Metamorphosen des Geistes
auch nur eine einzige Blutprobe geliefert. „Ich hoffe nur, daß er verletzt ist, wenn er wieder auftaucht", bemerkte Rastakian, der ungeduldig daraufwartete, daß draußen endlich Ruhe eintrat und er mit der Arbeit beginnen konnte. „Dann habt ihr gefühlsduseligen Dummköpfe keinen Grund mehr, ihn wie ein rohes Ei zu behandeln. Dann müssen wir ihn betäuben, um ihn behandeln zu können, ob euch das paßt oder nicht."
Dancing Tree wandte ihm schweigend den Rücken und sorgte dafür, daß die Punamer endlich ihre heißersehnten Süßigkeiten bekamen. „Bist du verrückt?" fauchte Rastakian prompt. „Weißt du eigentlich, daß du mir eben eine Testreihe ruiniert hast? Dieses ganze Zuckerzeug auf nüchternen Magen ..."
„Deine Testreihe in allen Ehren, aber es hat keinen Sinn, noch länger zu warten", sagte Dancing Tree nüchtern. „Das hast du nicht zu beurteilen!"
„O doch, das habe ich. Siehst du denn nicht, was da vorgeht?"
„Sie haben sich geprügelt. Na, und? Das tun sie doch ständig."
„Diese Prügelei", erwiderte Dancing Tree gedehnt, „war der Beginn eines Kampfes um eine neue Rangordnung. Wenn der Kronprinz eingreift, geht es nicht mehr nur ums Futter. Die Punamer sind im Augenblick zu aufgeheizt, als daß wir ihnen einen solchen Kampf gestatten sollten. Es würde dabei wahrscheinlich ein paar Tote geben."
Rastakian musterte ihn verächtlich. „Ich möchte mal wissen, wie du solche Kämpfe auf die Dauer verhindern willst", knurrte er. „Wenn wir von hier verschwinden, werden sie sich gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen, und dann wird keiner mehr dasein, der sie hinterher verarzten kann. Du willst ein Verhaltensforscher sein? Gehört es nicht zu deinem Job, den unbestechlichen Beobachter zu spielen?"
„In allen normalen Situationen, die zum Leben meiner Forschungsobjekte gehören", stimmte Dancing Tree gelassen zu. „Aber die Situation da draußen ist nicht normal. Ihr hättet nie damit anfangen dürfen, sie auf diese Weise zu füttern."
„Aha, jetzt sind wir mal wieder die Schuldigen. Du hättest das natürlich ganz anders gemacht, nicht wahr? Bei dir hätten sie sich freiwillig eingefunden, um ihre Proben abzuliefern. Das hätte vielleicht ein paar Jahre gedauert, und inzwischen wären wohl einige tausend Siedler an diesen verdammten Seuchen zugrunde gegangen, aber was macht das schon? Hauptsache, den lieben Punamern wird kein Haar gekrümmt!"
„Es wäre nicht nötig gewesen, sie ausgerechnet an Schokolade und Bonbons zu gewöhnen", bemerkte Dancing Tree. „Hört auf damit!" schrie Lena Grispin wütend. „Alle beide!"
Man konnte fast den Verdacht haben, daß die Gereiztheit der Punamer ansteckend war, denn auch Rastakian sah aus, als würde er im nächsten Moment in die Luft gehen.
Dancing Tree beobachtete ihn interessiert. „Ihr seid ja alle miteinander übergeschnappt!" knurrte Rastakian nach einer langen Pause.
Dann drehte er sich um und ging davon. „Es tut mir leid", sagte Dancing Tree zu Lena Grispin. „Ich weiß, daß ihr damals nicht genug Zeit hattet, um euch etwas anderes zu überlegen."
„Laß mich in Ruhe!" zischte Lena böse.
Dancing Tree zuckte die Schultern und öffnete die Tür zu seinem Zimmer. „Komm, Ivy", sagte er sanft. „Wir machen einen Spaziergang. Hier wird mir die Luft zu dick."
Sie sauste wie ein kleiner weißer Schatten an ihm vorbei und war schon an der Tür, als er sich gerade erst umdrehte.
*
Die Punamer hatten sich inzwischen beruhigt. Xan war nirgends zu sehen.
Dancing Tree wußte, daß der Pascha der Sippe seit einigen Tagen regelmäßig an der nördlichen Grenze seines Reviers nach dem Rechten zu sehen pflegte.
Eine fremde Sippe trieb sich dort herum. Zweimal hatten die beiden Paschas sich bereits gegenübergestanden, aber bis jetzt hatten sie sich lediglich nach besten Kräften angebrüllt.
Am Tag zuvor hatte Xan jedoch damit begonnen, seine Grenzmarkierungen zu erneuern, und das war ein sicheres Zeichen dafür, daß er die Absicht hatte, die Auseinandersetzung mit dem Rivalen schleunigst zu beenden.
Dancing Tree ging davon aus, daß Xan das Frühstück auf der Lichtung nur wegen dieses Kampfes versäumt hatte. Dennoch war er vorsichtig genug, um für seinen Spaziergang eine Richtung zu wählen, von der er wußte, daß Xan dort so gut wie nie anzutreffen war.
Xans Revier grenzte im Südwesten an einen Fluß, der an der südlichen Grenze in einen See mündete. Dort war mit einem Eindringen fremder Sippen nicht
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