1528 - Metamorphosen des Geistes
zu rechnen.
Xan kontrollierte dieses Gebiet nur alle paar Wochen. Solange er die fremde Sippe im Norden nicht abgewehrt hatte, würde er sich erst recht nicht dort herumtreiben.
Natürlich hätte auch Ivy sich lieber mit Süßigkeiten vollgestopft, aber nach ihren schlechten Erfahrungen mit Xans Sippe wagte sie sich nicht an die dicht umlagerten Futterstellen heran.
Dancing Tree hielt sicherheitshalber ihre Hand fest.
Die Punamer waren an diesem Morgen so gereizt, daß er nichts riskieren wollte. Im Augenblick herrschte zwar Ruhe, aber es war nicht vorherzusehen, wie die Sippe reagieren würde, wenn plötzlich ein fremdes Kind in ihrer Nähe auftauchte.
Ivy sah sich anfangs ständig nach den anderen um, aber als sie im Wald waren, vergaß die kleine Punamerin die schmatzende Horde und sauste verspielt in die Baumwipfel hinauf.
Dancing Tree ging gelassen weiter. Er wußte, daß Ivy ihm eine Etage höher folgte.
Für ein Punamerkind war das keineswegs ungewöhnlich. Die erwachsenen Punamer konnten zwar ausgezeichnet klettern, aber sie waren schon wegen ihres Gewichts recht häufig gezwungen, sich auf dem Boden fortzubewegen.
Er konnte Ivy hören - das Rascheln und Knacken in den Bäumen verriet ihm, daß sie ständig über ihm blieb und ihn nicht aus den Augen ließ.
Nach einigen Minuten kam sie an einem der Stämme herab. Er blieb stehen.
Ihr kleines Gesicht tauchte zwischen den Blättern auf. „Was hast du gefunden?" fragte er.
Sie kletterte tiefer herab und reichte ihm eine Traube mit kleinen roten Früchten.
Dancing Tree kannte diese Früchte. Er aß eine der Beeren, und Ivy drängte ihm begeistert gleich noch eine zweite Traube auf. Es bereitete ihr großes Vergnügen, wenn es ihr gelang, gelegentlich die Rollen zu vertauschen und etwas für ihren menschlichen Freund zu tun.
Er lehnte sich gegen den Baum, aß von den Beeren und wartete darauf, daß Ivy ihr Frühstück beendete. Er legte großen Wert darauf, daß sie ohne seine Hilfe auszukommen lernte, denn es war sehr ungewiß, wie lange er noch für sie sorgen konnte.
Eigentlich wußte er mittlerweile bereits genug über die Punamer. Er hätte auf der Stelle einen abschließenden Bericht abgeben und die endgültige Sperrung des Planeten erwirken können.
Denn die Punamer waren intelligent.
Und sie waren auch lernfähig.
Sie hatten zum Beispiel sehr schnell begriffen, wie sie sich verhalten mußten, um mit einem Minimum an geistiger Anstrengung ein Maximum an Süßigkeiten zu ergattern.
Lena und die anderen, die immer wieder lautstark nach Beweisen verlangten, hatten diesen Beweis direkt vor der Nase und waren nur nicht fähig, dies zu erkennen. Selbst Darn war bis jetzt nicht dahintergekommen.
Das wunderte Dancing Tree auch gar nicht, denn Darn hatte in Bezug auf die Punamer eine schlechte Ausgangsbasis. Er suchte im Verhalten der Punamer nach Parallelen zu menschlichen Normen, die es bei diesen Wesen gar nicht geben konnte.
Denn die Punamer hatten einen ganz anderen Weg hinter sich - und ganz andere Perspektiven vor sich, an denen sich ihre weitere Entwicklung auszurichten hatte.
Das Schicksal meinte es gut mit ihnen - vielleicht ein bißchen zu gut. Es hielt für sie auf Punam keine Feinde bereit, keine Konkurrenten, keine Herausforderungen. Sie brauchten keine geistigen Verrenkungen anzustellen, um sich am Leben zu erhalten, Alles fiel ihnen in den Schoß, und dank ihres beneidenswert leistungsfähigen Immunsystems waren sie sogar gegen Krankheiten aller Art bestens gefeit. Ihre Fortpflanzungsrate war stabil.
Es gab keinen Druck, der durch eine Erhöhung der Kopfzahl und den daraus resultierenden Mangel an Lebensraum entstehen konnte.
Das alles hatte dazu geführt, daß die Punamer den wenigen Problemen, auf die sie in ihrem Paradies trafen, auf ausgesprochen passive Weise begegneten. Sie gingen den bequemen Weg und wichen eventuell auftauchenden Hindernissen aus. Sie konnten sich das leisten, und es bekam ihnen großartig.
Nur eines konnten sie auf diese Weise nicht erlangen: Jene Art von Intelligenz, nach der Darn und die anderen suchten. Zur Zeit äußerte sich ihre Lernfähigkeit einzig und allein darin, daß sie sich als perfekte Bettler zu präsentieren wußten.
Selbst wenn es gelingen sollte, ihnen das abzugewöhnen: Die Punamer waren keine kühnen Eroberer ihrer Welt, und sie würden es wohl auch niemals werden.
Das war nicht unbedingt ein Fehler.
Jedes Volk hatte das Recht, seinen eigenen Weg zu gehen.
Und gerade da lag
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