1533 - Das Tarot-Rätsel
Simon Braddock so sehr staunte.
Er sah mir an, dass ich sehr konzentriert war, und stellte keine weiteren Fragen mehr, worüber ich froh war, denn ich wollte mich nicht ablenken lassen.
Zeigte uns das Kreuz den Weg?
Im Moment sah es nicht danach aus. Ich hielt es in der rechten Hand auf dem Handteller.
Dann nahm ich im Sessel für Besucher Platz.
Das Kreuz legte ich auf den Tisch und wartete auf eine Reaktion.
Es tat sich nichts. Kein Lichtfunke umsprühte es, und als ich es berührte, erlebte ich auch keinen Wärmestoß.
Meine Enttäuschung hielt sich in Grenzen, denn das Gleiche hatte ich bereits beim toten Pete Lambert erlebt. Da war Suko mit seiner Peitsche erfolgreicher gewesen. Hier allerdings gab es kein Ziel für die Waffe.
Mein Kreuz lag auf dem Tisch, in dessen schwarzer und polierter Platte sich ein Teil des Himmels abmalte.
»Sieht so aus, als kämen wir hier nicht weiter, Suko.«
»Stimmt. Da bleibt uns nur die Peitsche.«
Ich schaute ihn schräg an. »Nicht?«, fragte er. »Wo ist hier der Feind?«
»Den könnte die Peitsche hervorlocken.«
»Das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass uns diese Ethel Brown weiterhelfen könnte, aber sie hat sich zurückgezogen. Sie will anscheinend mit uns nichts zu tun haben.«
»Sollen wir warten?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Das Haus stand ja offen. Ich werde einfach den Eindruck nicht los, dass sie hier in der Nähe auf uns lauert, dass sie uns beobachtet, nur bekommen wir davon leider nichts mit.«
Ich schaute noch mal auf die vor mir liegende Tischplatte, sah das Abbild des Himmels darin und zwinkerte plötzlich mit den Augen.
Da hatte sich etwas bewegt!
Mehrere Sekunden saß ich unbeweglich auf dem Stuhl. Und doch so lange, dass es Suko auffiel.
»Was ist passiert?«
Ich wies auf den Tisch. »Eine Bewegung.«
»Bitte?«
»Ja, schau selber hin.«
Das tat Suko zwar, nur legte er den Kopf zurück und schaute in die Höhe auf das größere Abbild des Himmels, und tatsächlich entdeckte er dort ebenfalls die Bewegung.
»Die Sterne wandern. Kann das sein?«
»Ich denke schon.«
»Und wohin?«
Wir beide blieben in unseren Positionen. Unter der Decke gerieten die funkelnden Punkte in Bewegung. Bereits nach einigen Sekunden war uns Beobachtern klar, dass sie bestimmten Gesetzen folgten und sich nicht einfach in einem Durcheinander bewegten.
Zwar kreisten sie, aber sie blieben auf einer bestimmten Bahn, und wir schauten zu, wie sie sich an einer Stelle konzentrierten.
»Was wird das, John?«
»Weiß ich nicht.«
»Aber ich!«
»Und?«
»Verdammt, wenn ich den Umriss genau ansehe, würde ich sagen, dass es sich um einen Körper handelt«, sagte Suko. »Vielleicht sogar um den Körper einer Frau. Das wäre ja ein Wahnsinn.«
Möglicherweise. Und doch musste ich Suko zustimmen. Dieses Bild, das sich über uns und auch in der blanken Tischplatte zeigte, erinnerte tatsächlich an eine menschliche Gestalt. Aber sie passte nicht in die Reihe der Tierkreiszeichen hinein. Sie war selbstständig, sie existierte für sich, und der Sternenhaufen, aus dem die Gestalt bestand, verdichtete sich, wuchs enger zusammen, das Material komprimierte sich, und wenig später bekamen wir große Augen.
Das Licht der Sterne hatte es geschafft, eine Gestalt zu bilden. Eine Frau, die nun aussah, als bestünde sie aus Fleisch und Blut. Ich musste die Tarotkarte nicht erst hervorholen, um zu wissen, wer da auf uns nieder schaute.
Es war Ethel Brown, die Person von der Karte!
***
Der Anblick verschlug uns die Sprache. Nicht nur Suko und mir, auch Simon Braddock sagte nichts. Sein Kopf ruckte ständig hin und her.
Offenbar wusste er nicht, ob er zur Decke oder auf den Tisch schauen sollte.
»Das ist sie. Das ist Ethel Brown! Aber so habe ich sie noch nie gesehen!«
»Wir auch nicht«, gab Suko zu.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Braddock.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Das war nicht gelogen, denn ich war wirklich ratlos.
So wie diese Person über uns schwebte, konnte man sie auch als einen schwarzhaarigen Engel ohne Flügel ansehen, aber auch diesen Gedanken konnte ich nicht akzeptieren, weil ich immer daran denken musste, wie Pete Lambert gestorben war. Er war innerlich vereist. Oder erstarrt, wie auch immer. Auf seinem Körper hatte sich eine helle Schicht ausgebreitet, und ich wollte mich einfach nicht von dem Gedanken lösen, dass diese Person, die wir hier zweimal sahen, schuld an Lamberts Tod war.
Aber als was sollte man sie einstufen?
Weitere Kostenlose Bücher