1540 - Das Drachenriff
bezahlen können. Da auch kein großes Kundeninteresse bestand, habe ich ihnen den Spiegel leihweise überlassen. Er steht jetzt, so hoffe ich, unbeschadet in deren Wohnung.«
»Kennen Sie die Geschichte der Spiegel?«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Ursprünge.«
»Ja, schon.«
»Und? Gibt es da etwas Außergewöhnliches, was bei ähnlichen Spiegeln nicht zutrifft?«
»Dass sie sehr alt sind, wissen Sie vermutlich. Angeblich sollen sie einem Schamanen aus der Wikingerzeit gehört haben.«
»Und was hat der mit ihnen gemacht?«
»Pardon, aber da habe ich noch nicht gelebt.«
»Haben Sie denn eine Idee?«
»Wie meinen Sie das?«
Ich verdrehte die Augen vor meiner nächsten Frage. »Könnte es sein, dass die beiden Spiegel auf eine geheimnisvolle Art und Weise verändert worden sind?«
Plötzlich hörte ich ein Kichern, was mir seltsam vorkam. Dann die hohe Stimme: »Ja, ja, es gibt schon manchmal Dinge, in die wir Menschen uns nicht hineinversetzen können. Ich habe den Käufer des Spiegels gewarnt. Ich habe ihm gesagt, dass er ihn pfleglich behandeln soll und dass er auf seine Art einmalig ist.«
»Wissen das auch die Menschen, denen Sie den zweiten Spiegel überlassen haben?«
»Das geht Sie nichts an, Sinclair!«, fuhr er mir in die Parade. »Nehmen Sie das hin, und freuen Sie sich, dass es die beiden Spiegel auf dieser Welt gibt.«
Das waren seine letzten Worte. Er hatte keine Lust mehr und legte einfach auf.
Ich schaute ziemlich betroffen aus der Wäsche, was auch Chief Tanner auffiel.
»Das war kein gutes Gespräch, John - oder?«
»Kann man so sagen.«
»Und um was ging es?«
»Es gibt noch einen zweiten Spiegel. Der befindet sich allerdings nicht hier, sondern in Norwegen, und er ist auch nicht mehr im Besitz dieses Nils Harding. Er hat ihn leihweise an ein junges Paar abgegeben.«
»Ein so wertvolles Stück?«, zweifelte Tanner.
»Das denke ich auch. Das hat der Typ bestimmt nicht grundlos getan. Und er hat auch etwas von einem Schamanen der Wikinger gefaselt; in dessen Besitz sich die Spiegel mal befunden haben sollen.«
»Einer nur oder beide?«
»Ich gehe davon aus, dass es beide waren.«
Tanner lachte auf. »Was bedeutet das für dich, dass sie sich im Besitz eines alten Schamanen befunden haben? Es muss doch etwas mit ihnen passiert sein.«
»Das glaube ich auch, und ich gehe davon aus, dass diese Spiegel beschworen worden sind.«
»Wobei wir schon bei der Lösung sind.«
»Die uns im Moment aber nicht weiterbringt. Ich habe mehr den Eindruck, dass der Spiegel hier gewisse Menschen annimmt und andere wiederum ablehnt. Mich will er nicht haben.«
»Denk mal über die Gründe nach.«
Ein leiser, aber durchaus hörbarer Klingelton hielt mich davon ab, über Tanners Worte nachzudenken.
Das konnte nur Suko sein.
Tanner ging, um die Tür zu öffnen.
Ich blieb vor dem auf dem Boden liegenden Spiegel stehen, sah mich selbst darin und auch das gekrauste Muster auf meiner Stirn. Es musste eine Möglichkeit geben, die Grenze zu durchbrechen. Dieser Spiegel war alles andere als normal.
In ihm steckte, davon ging ich einfach aus, eine magische Kraft, aber die nahm mich nicht an, und genau darüber zerbrach ich mir den Kopf.
Hinter mir hörte ich Sukos Stimme.
»Okay, ich bin da. Wo liegt das Problem?«
»Auf dem Boden«, sagte ich.
»Aha, der Spiegel.« Suko trat ebenfalls an ihn heran und betrachtete sich darin. Er hob die Schultern und meinte: »Ich würde sagen, dass er völlig normal aussieht, obwohl die Fläche nicht so blank ist, wie man sie sich bei einem Spiegel vorstellt.«
»Das kann auch mit der Besonderheit zu tun haben.«
»Und du meinst, dass deine Freundin Purdy Prentiss durch diesen Spiegel verschwunden ist?«
»Wir sehen keine andere Möglichkeit.«
»Und bei dir hat es nicht funktioniert?«
»Ja«, erklärte ich knirschend, »so ist es gewesen. Und es hat mir überhaupt nicht gefallen.«
»Hast du was dagegen, wenn ich mal einen Versuch starte?«
»Nein.«
»Okay.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Suko die Spiegelfläche noch nicht berührt.
Das allerdings wollte er ändern.
Er ging vor dem Spiegel in die Knie, legte seine Hände auf den unteren Rahmen, schaute uns noch mal an, nickte und schob die Hände dann vor, damit er sie auf die Fläche legen konnte.
Das ging alles glatt. Das heißt, nur für einen Moment blieb Suko in seiner Haltung, dann hörten Tanner und ich seinen überraschten Ruf, und noch in der selben Sekunde glitt er in den Spiegel
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