1540 - Das Drachenriff
wusste, wo sich seine Opfer befanden, bekamen sie zu hören. Das galt nicht nur für das widerliche Fauchen, sie hörten auch das Schaben. Es ließ darauf schließen, dass ihr Verfolger versuchte, über die enge Treppe nach oben zu gelangen.
Purdy lief vor bis zum Beginn der Treppe. Sie musste den Kopf etwas drehen, um die Stufen hinabschauen zu können. Was sie sah, sorgte für eine gewisse Erleichterung.
Das Monstrum zeigte sich noch nicht. Es blieb erst mal im unteren Bereich, wobei sich die Frage stellte, ob es möglich war, dass sich das änderte.
Das Kratzen und Schaben hörte nicht auf. Als sich Purdy auf die zweite Stufe wagte und sich dabei an die Wand drückte, um einen besseren Sichtwinkel zu haben, da sah sie den Schatten, der über die Wand glitt.
Er sah aus wie ein Schlauch, der sich nach vorn hin verdickte, und ihr war klar, dass es sich dabei um den Kopf des Monstrums handelte, der schon weit nach vorn geschoben war.
Die Staatsanwältin behielt die Nerven und zog sich nicht wieder zurück.
Sie ging eine weitere Stufe hinab, um noch besser sehen zu können.
Und jetzt stand für sie fest, dass es die Drachenschlange nicht schaffen würde. Sie klemmte fest.
Doch das war noch kein Grund, in Jubelarien auszubrechen, denn an den Geräuschen war zu hören, dass sie nicht aufgab.
Purdy konnte nur hoffen, dass die Mauern des Turms hielten.
»Kannst du was erkennen?«, rief Tore ihr leise zu.
»Ja, das kann ich. Unser Verfolger klemmt fest. Er kann nicht mehr weiter.«
»Gut.«
»Das denke ich auch.« Purdy drehte sich um und ging zu den beiden zurück. Sie lächelte sogar, als sie sagte: »Jetzt kommt es nur darauf an, dass der Turm stabil genug ist.«
»Woher nimmst du nur die Nerven?«, fragte Gudrun.
»Man muss im Leben immer mit allem rechnen.« Purdy lächelte den beiden aufmunternd zu. »Ich denke, dass sich unsere Lage nicht verschlechtert hat. Ich rechne auch weiterhin damit, dass wir Hilfe bekommen werden. Darauf könnt ihr euch verlassen.«
»Wenn sie nur schon da wäre«, sagte Tore.
Seine Freundin drehte sich weg. Sie trat an eines der Fenster heran, um nach draußen zu schauen, und ein leiser Schrei des Erstaunens drang über ihre Lippen.
»Was hast du?«, fragte Tore.
»Da - da ist jemand.«
»Wer?«
»Zwei Männer.«
»Ehrlich?«
»Ja, schau selbst.«
Purdy hielt sich zurück. Sie wusste, wer da gekommen war, aber sie überließ es Tore, durch das zweite Fenster auf derselben Seite zu schauen.
»Ja, du hast recht.« Er drehte sich um und schaute Purdy Prentiss an.
»Sind das deine Freunde?«
»Lass mich mal sehen.«
Tore machte Platz, und Purdy konnte nach draußen schauen. Genau dort, wo auch sie gelandet war, sah sie die beiden Männer, und die kannte sie verdammt gut.
Es waren John Sinclair und Suko!
***
Ich habe das Kreuz nicht mehr!
Dieser schlimme Gedanke ließ mich selbst auf der Zeitreise nicht los.
Ansonsten schien von mir nichts mehr vorhanden zu sein. Ich fühlte mich aufgelöst, bis eben auf diesen einen Gedanken, der so verdammt intensiv war.
Zeit gab es nicht mehr für Suko und mich. Alles hatte sich aufgehoben.
Losgelöst von allem kam ich mir vor bis zu dem Zeitpunkt, als sich alles änderte.
Zuerst bemerkte ich den Wind. Ich spürte auch die Kälte an meiner Haut, und einen Moment später war es so weit.
Ich befand mich am Ziel. Und Suko ebenfalls.
Das Rauschen des Wassers war überlaut zu hören. Wir kannten dieses Geräusch, weil wir schon oft genug an der See zu tun gehabt hatten. Es war überall irgendwie gleich, aber ich empfand es auf keinen Fall beruhigend, denn hier würde uns niemand mit offenen Armen empfangen.
»Alles okay, John?«
»Sicher.«
»Bei mir auch.«
Zumindest ich hatte damit gerechnet, dass wir angegriffen werden würden, wenn wir unser Ziel erreichten.
Wir hatten Glück, dass dies nicht zutraf. Irgendwelche Gegner sahen wir nicht, aber dafür wuchs vor uns das mächtige Kreuz in die Höhe. Ob es nun aus Holz oder aus Stein bestand, war für uns nicht gleich erkennbar, denn eine dicke grüne Schicht aus Pflanzen hatte sich darüber gelegt.
Wir sahen auch einige Stricke, die daran klebten.
Ich dachte natürlich an Purdy Prentiss und an weitere Krieger. Deren Anblick wurde uns erspart, aber leider auch der der Staatsanwältin.
In unserem Sichtbereich hielt sie sich zumindest nicht auf.
Aber es gab etwas anderes, das uns auffiel. Vor dem Kreuz lag der Leichnam des Wikingerkriegers, den ich mit der Silberkugel aus
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