1541 - Ball der Vampire
spät, aber er verwarf den Gedanken wieder. Er war schon zu nahe an sein Ziel herangekommen.
Und so legte er auch die letzten Meter zurück und blieb dicht vor dem Stuhl stehen.
Jetzt sah er sie besser. Doreen trug noch immer dieselbe Kleidung. Aber sie sah anders aus, das war selbst bei diesen Lichtverhältnissen zu erkennen. Sie sah nicht mehr so makellos aus, so sauber. Ihre Kleidung war beschmutzt. Sie schien auf dem Boden gelegen zu haben.
Doch das interessierte ihn nicht, denn er schaute nur in ihr Gesicht.
Ja, das waren ihre Züge. So wunderbar weich, so engelsgleich. Er war noch immer so irrsinnig verliebt, und als er in das Gesicht schaute, da hatte er alle Vorsicht vergessen.
»Meine Güte, ich habe dich wieder!«
»Das hast du.«
»Komm jetzt!«
»Nein, Yago, komm du.«
»Aber ich…«
»Ich will dich umarmen. Ich will dich auf meinem Schoß spüren. Bitte, du musst mir den Gefallen tun.«
Das hätte er gern getan. Doch da gab es noch etwas anderes.
Misstrauen stieg wieder in ihm hoch. Das Wiedersehen mit Doreen hatte er sich so nicht vorgestellt, aber sie wollte es nun einmal so.
Da er nichts tat, um ihrem Wunsch nachzukommen, übernahm sie die Initiative. Sie beugte sich vor und streckte ihm beide Hände entgegen.
Dieser Aufforderung konnte Yago nicht widerstehen, und so ließ er sich auf ihren Schoß ziehen.
Wie oft war es umgekehrt gewesen, denn da hatte sie auf seinem Schoß gesessen.
Aber jetzt?
Es war noch derselbe weiche Körper. Auch die Haut hatte sich nicht verändert, bis auf eine Kleinigkeit, die ihn etwas aus dem Konzept brachte.
Sie war nicht mehr so warm wie sonst. Aber auch nicht kalt. Sie war gar nichts. Einfach nur neutral.
Warum?
Die Antwort konnte er sich nicht selbst geben, weil Doreen ihn mit ihrem Wunsch ablenkte.
»Drück mich an dich, ganz fest. Bitte, ich will dich spüren.«
Er wollte es nicht. Es kam ihm alles suspekt vor. Er hielt noch seinen Revolver fest, hatte ihn aber vergessen und musste erleben, wie Doreen mit einer Hand in sein Haar griff und es so packte, dass sie seinen Kopf nach rechts zu Seite ziehen konnte.
»Was soll das?«
»Ich will deinen Hals!«
»Was willst du?«
Doreen gab die Antwort auf ihre Weise. Sie senkte blitzschnell ihren Kopf. Dabei riss sie den Mund auf, den sie bisher geschlossen gehabt hatte.
Yago schaute hinein!
Sein Gesicht verzerrte sich. Trotz der schlechten Sicht waren ihm die beiden spitzen Zähne aufgefallen, die aus dem Oberkiefer wuchsen. Ein schlimmer Gedanke jagte durch seinen Kopf. Er war wie ein Blitzstrahl, doch er konnte nichts mehr ändern.
Seine Freundin war einfach zu schnell und auch zu gierig.
Sie rammte ihre beiden Blutzähne in den Hals des Mannes, der in diesem Moment von einem Schock gelähmt wurde…
***
Yago Tremaine hatte den Eindruck, zu einer Puppe geworden zu sein.
Er konnte sich nicht mehr bewegen und fühlte sich auf dem Schoß seiner Geliebten festgeklemmt.
Doreen ließ nicht locker. In ihrer neuen Existenz hatten sich auch ihre Kräfte verändert. Sie waren stärker geworden, und sie hätte es mit jedem Menschen aufnehmen können.
Yago wollte sich aufbäumen. Sie gab ihm keine Chance. Doreen presste ihn gegen ihre Beine.
Tremaine hörte in der Nähe seines linken Ohrs ein Geräusch, das ihn erschreckte.
Ein lautes Schmatzen und Saugen. Doreens Lippen klebten an seinem Hals, und als er die beiden Dinge addierte, da war ihm endgültig klar geworden, in welch einer Lage er sich befand.
Jemand trank ihn leer!
Jemand saugte ihm das Blut aus den Adern!
Und es war kein unbekanntes Wesen, sondern die Frau, die er liebte.
Dieser Gedanke verschwand so schnell, wie er aufgezuckt war. Er konnte Doreen nicht mehr als einen normalen Menschen ansehen. Sie war nicht mehr seine geliebte Freundin, sie war keine Frau mehr, kein Mensch - aus ihr war ein Monster geworden!
Sie trinkt mein Blut!
Dieser Gedanke wollte ihn nicht mehr loslassen. Aber er war auch nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Für ihn hatte sich die Welt völlig verändert. Sie stand auf dem Kopf. Nichts war mehr wie sonst. Ein Albtraum war zur Wirklichkeit geworden, und in einem letzten Impuls wollte sich Tremaine dagegen auflehnen.
Die Arme heben. Den Kopf von seinem Hals fortreißen. Der Wille war da, die Umsetzung nicht. Je länger Doreen sein Blut trank, umso schwächer wurde er.
Er fühlte sich matt, sah trotz seiner weit geöffneten Augen so gut wie nichts und stemmte dann seine Füße gegen den Boden.
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