1545 - Vampirtränen
zumindest.«
»Dann bleib mal dabei.« Jane wollte nicht länger auf dem Boden knien.
Sie erhob sich mit den Bewegungen einer alten Frau und ging auf die Haustür zu.
»Willst du sie verfolgen?«
»Nein. Ich will nur wissen, ob sie noch hier ist. Das ist alles. Es könnte ja sein - oder?«
»Muss aber nicht.«
Jane schaute nach draußen. Die Außenlampe streute ihr Licht auch auf den Weg, aber dort war nur das Pflaster zu erkennen, sonst nichts.
Keine Clara lauerte auf einen neuen Versuch, ins Haus einzudringen.
Jane schloss die Tür wieder von innen und hörte die Frage der Cavallo.
»Und, ist sie weg?«
»Ja.«
»Das war vorauszusehen.«
»Und jetzt?«
Justine lachte. »Ist das mein Bier? Ich glaube nicht. Vielleicht wird sie sich bei Mallmann beschweren. Soll sie. Dann weiß er, dass ich immer noch seine Feindin bin.«
»Das ist alles?«
»Ja. Was sollte es sonst noch geben?«
Jane sah den Spott in den Augen der Blutsaugerin, und sie wusste, dass jedes weitere Wort überflüssig war.
Mit kleinen Schritten ging sie an der Nackten vorbei und stieg die Stufen der Treppe zu ihrer Wohnung hoch. In ihrem Gesicht bewegte sich nichts. Es war ihr auch egal, ob Justine ihr folgte.
Wahrscheinlich nicht, und das war Jane nur recht. Das wollte sie sogar; denn sie musste nachdenken. Was sie erlebt hatte, schüttelte man nicht so leicht aus den Knochen.
Als sie ihr Zimmer betrat, lächelte sie, denn sie dachte wieder an ihre Pistole mit den Silberkugeln, die sie jetzt nicht mehr brauchte. Vor zehn Minuten hätte es anders ausgesehen.
Jane warf sich in einen Sessel, streckte die Beine aus, schloss die Augen und dachte daran, was hier im Haus passiert war. Okay, sie lebte noch, und das war das Beste überhaupt.
Auf der anderen Seite konnte sie den Fall nicht auf sich beruhen lassen.
Dieser widerlichen Person war die Flucht gelungen, aber Jane wollte es nicht unbedingt als eine Flucht ansehen. Das war etwas anderes. Sie war gegangen, und sie würde sich sicherlich nach dorthin begeben, wo für sie alles angefangen hatte und es jetzt weitergehen sollte.
Jane überlegte. Sie hatte einen Namen gehört. Clara war so stark von sich überzeugt gewesen, dass sie ihn preisgegeben hatte.
Die Detektivin dachte nach. Sie grübelte. Wie hieß dieser Ort noch?
Dann klingelte es, und plötzlich wusste sie es wieder.
Stoneway.
Ja, der Ort musste Stoneway heißen. Und Jane Collins wusste auch, dass sie schon am morgigen Tag eine Reise dorthin antreten würde. Das musste sie einfach durchziehen, denn das war sie sich schuldig.
Sie spielte auch mit dem Gedanken, noch bei John Sinclair anzurufen.
Den Vorsatz verwarf sie wieder. Sie würde ihm in einigen Stunden alles persönlich mitteilen.
Und es kam noch etwas hinzu, über das sie nachdenken musste und sehr wichtig war.
Sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben eine Blutsaugerin gesehen, die weinte. Auch wenn es keine normalen Tränen gewesen waren, aber die dunkelroten Perlen waren aus ihren Augen geflossen und an den Wangen entlang nach unten gelaufen.
Vampirtränen!
Darüber dachte Jane Collins nach. Wer weinte, der zeigte Gefühle. Traf das auch auf einen Blutsauger zu?
Sie konnte es sich nicht vorstellen. Vampire und Gefühle. Nein, das einzige Gefühl, das bei ihnen zählte, das war die Gier nach dem Blut der Menschen.
Aber die Welt war oftmals anders gestrickt, als man es gewohnt war.
Was so aussah, als würde es für immer bleiben, konnte sich auch mal ändern. Und selbst Vampire blieben davon nicht verschont.
»Nichts bleibt, wie es ist«, murmelte Jane Collins vor sich hin.
Ob das positiv oder negativ war, wusste sie in diesem Fall nicht zu sagen. Aber sie würde es herausfinden…
***
»Alles fließt«, hörte ich die Stimme aus dem alten Radio in meiner Küche und dachte selbst dabei an den Kaffee, der als braune Brühe in die kleine Kanne floss.
Natürlich war er nicht so gut wie der von Glenda Perkins, aber trocken bekam ich mein Frühstück nicht hinunter, und ich hatte schon etwas Hunger. Deshalb briet ich mir auch zwei Spiegeleier. Eine Angewohnheit, die ich aus Deutschland kannte, wenn ich dort in den Hotels übernachtet hatte.
Hinter mir lag ein tiefer und auch gesunder Schlaf. Und heute hatten wir Samstag. Da war ich etwas länger im Bett geblieben. Es lag nichts an, abgesehen von einem freien Wochenende. Ich hätte es für Weihnachtseinkäufe nutzen können, aber ich hatte keine Lust, mich in dieses massive Gewühl zu stürzen oder durch
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