1545 - Vampirtränen
auf ihn. Sie hatte sich zum Schutz gegen die Kälte ein Tuch um den Kopf gebunden. Fast böse schaute sie den Witwer an.
»Können wir endlich?«
»Hast du es denn so eilig?«
»Ja, das habe ich.«
»Warum?«
»Vielleicht können wir noch was retten.«
»Ach.«
»Ja, du brauchst gar nicht so komisch zu schauen. Das ist nicht zum Lachen.«
»Sondern?«
»Da liegt jemand.«
Hurley hatte bisher alles von sich abtropfen lassen. Nun aber horchte er auf. Er blieb stehen und fragte: »Wo soll jemand liegen?«
»Im Pub.«
»In der Gaststätte, meinst du?«
»Ja.«
»Und wer soll dort liegen?«
Die Redgrave hob die Schultern. »So genau habe ich das nicht sehen können. Ich konnte nur die Beine erkennen, und ich glaube, dass es ein Mann ist.«
»Der Besitzer?«
»Kann sein.«
Sie gingen weiter. Stoneway war kein schöner Ort, und bei diesem trüben Wetter sah er noch trister aus. Da wirkten die Fassaden der alten Häuser grauer als sonst. Da es in der Nacht gefroren hatte, lag an einigen Stellen noch eine Raureifschicht, die wie eine hellgraue Decke glänzte.
Der Pub war eine Institution. Hier traf man sich, wenn man Durst hatte.
Hier wurden Feste gefeiert. Aber tagsüber hatte die Kneipe geschlossen, die einfach nur Pub hieß. Es gab noch zwei andere Tränken im Ort, die allerdings glichen mehr irgendwelchen Stehbierhallen und hielten keinen Vergleich mit dem Pub stand.
Ein paar Bewohner begegneten ihnen. Ansonsten war es ruhig, wie es sich für einen Samstag gehörte. Je näher sie dem Ziel kamen, umso unruhiger wurde Sarah. Sie sprach wieder davon, dass möglicherweise ein Toter im Gastraum lag, was Donald Hurley nur grinsen ließ.
»Jetzt übertreibst du aber.«
»Nein, das tue ich nicht. Ich spüre es. Die - die - Atmosphäre hier ist vergiftet. Sie ist böse.«
Hurley lachte, was Sarah aufregte.
»Ich weiß, dass du dafür kein Gefühl hast. Aber lass es dir gesagt sein: Es ist so, und wir werden noch unser blaues Wunder erleben.«
»Mal sehen.«
Weit mussten sie nicht mehr gehen. Sie verließen die Straße und gingen über einen Vorhof, auf dem einige Bäume standen und der auch als Parkplatz diente. Das Haus war flach, hatte keine erste Etage, und auf dem grauen Dach lag noch Raureif.
»Und von wo hast du hineingeschaut?«, erkundigte sich Hurley.
»Komm mit.« Die Frau führte ihn zu einem Fenster. Um hindurchschauen zu können, mussten sich beide auf die Zehenspitzen stellen.
»Siehst du es?«, fragte die alte Redgrave.
»Ja.«
»Und?«
Donald Hurley stieß den Atem scharf aus.
»Das sieh tatsächlich so aus, als wären es zwei Beine.«
»Perfekt, Mister Polizist. Das sind zwei Beine, und die Person liegt auf dem Boden. Ich denke, dass wir etwas unternehmen müssen.« Sie stellte sich wieder normal hin. »Vielleicht ist er sogar tot.«
»Unsinn.«
»Warum sagst du das? Du willst nur nicht zugeben, dass auch bei uns in Stoneway so etwas passieren kann. Oder?«
»Das hört sich an, als würdest du von einem Mord sprechen.«
»Ja, kann doch sein. Die Welt ist verdammt schlecht, das weißt du selbst. Davon werden auch wir nicht verschont.«
Der pensionierte Polizist fragte: »Ist das Lokal denn abgeschlossen? Hast du versucht…«
»Nein, ich bin sofort zu dir gelaufen. Ich wollte nicht hineingehen. Das habe ich mich nicht getraut.«
»Kann ich sogar verstehen.«
»Und was machen wir denn jetzt?«
»Ich schaue mich um. Ist doch klar.«
Auch in Hurley war ein ungutes Gefühl hochgestiegen. Ein Mann lag im Gastraum. Hier in Stoneway war es nicht so, dass man unbedingt die Tür abschließen musste. So kam es schon mal vor, dass auch die Tür zum Pub die Nacht über offen stand, und darauf hoffte Hurley auch jetzt.
Er hatte Glück. Die Eingangstür war nicht abgeschlossen. Sie klemmte nur etwas. Er stieß sie nach innen und merkte, dass Sarah dicht hinter ihm stand.
»Willst du mir rein?«
»Nicht gern, aber wenn du Hilfe brauchst…«
»Okay.«
Hurley sagte nichts mehr. Er ging als Erster in den Gastraum und hatte die Lippen fest zusammengepresst. Er atmete nur durch die Nase.
Der typische Kneipengeruch umwehte die beiden, die leise auftraten. Es roch sogar nach Rauch, obwohl das Qualmen in Kneipen offiziell verboten war, aber hier kümmerte sich niemand darum.
Nach zwei Schritten standen Hurley und seine Begleiterin im Gastraum.
Sie mussten sich nicht erst groß umschauen, denn sie wussten durch den Fensterblick, wo sie den Mann, der zu den Beinen gehörte, finden
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