1546 - Voltago der Diener
über das Schaltbrett.
Ein fürchterliches Stöhnen erschütterte die Halle. Gesil schaute sich um; und sie begriff, daß das Geräusch aus den Rohren drang. Das Pulsieren des undurchdringlichen Materials war nun so deutlich sichtbar, daß kein Irrtum möglich war.
Sie sah erneut den Tanz der amöbenhaften Wesen, die mit zäher Flüssigkeit durch die Rohrspirale gespült wurden. Was beim erstenmal wie eine Täuschung ausgesehen hatte - nun erlebte Gesil es wirklich mit. Die Wesen existierten. Durch ihre Bewegungen schrien sie stummen Schmerz hinaus. Sie wurden mißbraucht, einem unbekannten Zweck geopfert. „Hör auf damit!" schrie sie.
Mamerule lachte. Der Prizappa reagierte nicht.
Gesil fühlte sich wie versteinert. Sie spürte auf mentaler Ebene die ungeheure Qual der Wesen, die jetzt von Saugpumpen erfaßt und aus den Rohren gezogen wurden. Ein langer Strom, durch enge Leitungen gepreßt.
Da kamen die ersten.
Die Frau hörte Schreie. Winzige Gliedmaßen krallten sich an den Innenseiten der gläsernen Leitungen fest.
Doch Gasblasen lösten immer wieder ihren Griff, dafür sorgte schon der Druck derer, die hinter ihnen kamen.
Der erste Schub erreichte die Brutkuppel.
Und Voltago zuckte zusammen, als habe ein Schlag ihn getroffen. Das war die erste Regung des Klons. Die Wesen strichen mit hohem Druck an seinen Gliedmaßen und seinem Kopf vorbei; ein lebendiger Strom passierte ihn, ein toter Strom wurde durch verdeckte Stutzen abgesogen.
Gesil begriff, daß in diesen Sekunden Millionen der Amöbenwesen starben. „Sie zünden ihn", erklärte der Prizappa begeistert. „Siehst du, wie er erwacht, Hohes Wesen?
Das ist wahre Kunst! So wird die Norm unendlich übertroffen! Voltago schafft seine eigene Norm!"
Die Finger des Froschähnlichen standen von einer Sekunde zur anderen still. Ein Windhauch streifte Gesil. Zu anderer Zeit hätte sie die Abkühlung genossen, aber in diesen Augenblicken erfüllte der Tod der Wesen sie mit Schrecken und Haß.
Qylinam war ein Planet des Todes. Hier wurde genormtes Leben durch unglaubliche Grausamkeit erkauft.
Erneut der Windhauch, dazu ein Grollen aus den Rohrleitungen der Spirale.
Mamerule drehte sich um. Plötzlich bemerkte Gesil, daß aus dem Kopf des Prizappa spitze Ohren wuchsen.
Angestrengt horchend legte er den Kopf schief.
Derweil fing Voltago in der Brutglocke an, sich zu bewegen. Noch strichen Tausende lebendiger Zünder pro Sekunde an ihm vorbei, und mit dem Tod der anderen erfüllte immer mehr Leben seinen tiefschwarzen Körper.
Muskeln spannten sich unter der Haut, Bewegungen ließen das bisher kaum vorhandene Gesicht spasmisch zucken.
Der Mund öffnete sich.
Hände ballten sich zu Fäusten.
Und plötzlich standen Voltagos Augen offen. Der Klon blickte voll innerer Qual um sich - er hatte nicht die geringste Ahnung, was hier vorging. Doch bevor der Strom der Zünderwesen ihm noch Schaden zufügen konnte, schlossen sich unsichtbare Ventile.
In den gläsernen Leitungen wurden Hunderte der Wesen zerdrückt. Wenn es noch eines Beweises der unerhörten Grausamkeit bedurft hätte - nun hatte sie ihn. Die Wesen bildeten einen Pfropfen aus fester Materie, die keine Flüssigkeit mehr durchdrang.
Die nächste Luftbewegung war schon ein halber Stoß. In der Tat, die Rohrspirale vibrierte.
Donnergeräusche klangen auf. „Was ist da los?" Mamerule stand ratlos da, mit aufgerissenen Augen und hängendem Froschmaul. „Ich habe keine Ahnung", gab Gesil zurück.
Aber im selben Augenblick wußte sie ganz genau, worum es ging. Die Topar. Die Rebellen griffen an.
Mamerule fuhr herum und nahm an seinem Pult einige Dutzend Schaltungen vor, dann sprang er zurück und riß Gesil mit sich in Richtung Ausgang. „Schnell!" schrillte er. „Wir müssen hier hinaus!"
Sie sah nur noch, wie die ersten Rohre platzten. Schmierige Flüssigkeit ergoß sich in den Raum.
Der Steg zwischen Ausgang und Brutglocke erzitterte unter heftigen Explosionen.
Und ihr letzter Blick traf Voltago. Der Klon hatte sich inmitten seines Tanks zu voller Größe aufgerichtet. Die Augen waren weit aufgerissen, die Haltung drückte ungeheure Energie und einen starken Behauptungswillen aus. „Was ist mit ihm?" schrie sie. „Er ist mehr als wir!" gab Mamerule atemlos zurück. „Kümmere dich nicht um ihn! Er wird sich um dich kümmern! Er ist dein Leibdiener, vergiß das nicht!"
Die letzten Worte gingen in orkanartigem Lärm unter. In der Halle platzte das gesamte Rohrgeflecht zugleich.
Gesil
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