1546 - Voltago der Diener
ihrer Schulter. „Was willst du tun?"
„Eine gute Frage."
Gesil lenkte vorsichtig ihre Schritte durch zwei Buschinseln. Sie bog lange Zweige beiseite und achtete darauf, daß ihr neuer Freund nicht von der Schulter rutschte. Ihre Füße versanken im Schlick. Hinter den Büschen glitzerte ein kleiner Teich mit befestigtem Ufer. „Ich kann noch keine Entscheidung treffen", sagte sie. „Einerseits verlangt es mich nach Freiheit.
Die hätte ich bei den Topar. Außerdem würde mein Verlust den Bewahrer schwer treffen, dessen bin ich sicher."
„Und andererseits?"
„Nun ... ich weiß, daß die CASSADEGA bald Kurs auf Meliserad nehmen wird."
„Meliserad!" wiederholte Deno voller Ehrfurcht. „Es ist nicht leicht, das Zentrum der Macht zu erreichen.
Dorthin gelangen nur wenige."
„Das wußte ich nicht. Aber es bestärkt mich in meinen Zweifeln. Die Topar - und offener, wahrscheinlich sinnloser Kampf. Oder die Lösung aller Rätsel auf Meliserad."
Gesil setzte sich auf einen trockenen Stein am Ufer. Die Stiefelsohlen hingen bis ins Wasser.
Gleichzeitig sprang das Pelzwesen von ihrer Schulter und kugelte sich übermütig auf dem weichen Moosboden.
Plötzlich jedoch kam Deno zur Ruhe. „Ich benachrichtige meine Freunde", sagte er. „Wenn der Überfall stattfindet, so ist das morgen der Fall. Dann mußt du dich entscheiden."
*
Mamerule zeigte seine Erschöpfung überdeutlich. Eine weitere Nacht war vergangen, und sie konnte sehen, daß der Prizappa wieder keine Ruhe gefunden hatte. Der ansonsten dottergelbe Umhang wirkte faltig, voller Schmutz. Es war, als spiegele das Kleidungsstück den körperlichen Zustand seines Trägers wider.
Nun aber machte sich in seiner Gestik Zufriedenheit breit. Gesil sah, daß er es geschafft hatte. „Gesil!" rief der Normierer schrill. „Ich möchte, daß du mich begleitest. Der große Augenblick ist da!"
Mit gemischten Gefühlen folgte sie dem Prizappa. Der Überfall der Topar stand für den heutigen Tag bevor.
Aber wann? Zu welcher Uhrzeit? Sie hatte keine Ahnung, weil sie Deno nicht wiedergesehen hatte.
Am Arm trug sie einen Chronographen, der auf die Bordzeit der CASSADEGA eingestellt war.
Es war kurz vor Mittag. Sie verspürte Hunger, achtete aber jetzt nicht darauf.
Da vorn war die Halle.
Zum zweitenmal sah sie die riesige Spirale, die den ganzen Raum umschloß. Durch die dicken Rohre pulsierte jetzt fast sichtbar Flüssigkeit, und hohe Luftfeuchtigkeit erfüllte den Innenraum der Halle.
Von einer Sekunde zur anderen standen Schweißtropfen auf Gesils Stirn. Mamerule jedoch blühte sichtlich auf, als die heiße Atmosphäre ihn umfing. „Da ist er!" rief der Normierer.
Seine Worte waren überflüssig. Gesil folgte ihm über die Rampe in die Mitte des Raumes. Der Anblick war derselbe wie gestern, aber dennoch hatte sich etwas grundlegend verändert.
Die Brutkuppel schien förmlich unter Strom zu stehen. Ganz oben hatte sich eine Luftblase gebildet. Außerdem bemerkte Gesil die Schwüle, die Vibration des Kuppelmaterials und einiges mehr, was sie nur mit dem Unterbewußtsein erfaßte. Schauer liefen ihr über den Rücken.
Mamerule ließ vor sich ein Schaltpult aus dem Boden wachsen. Die Bedienungselemente schmiegten sich in die Hände des Normierers. Seine plumpen Finger entfachten einen Wirbel aus Schaltvorgängen; jeder Tastendruck saß wie tausendfach geübt.
Gesil starrte den Klon an. Voltago.
Sie wollte nichts mit diesem Produkt zu tun haben - und gleichzeitig konnte sie sich einer gewissen Faszination nicht erwehren. Da! Hatte sich der Körper bewegt? Nein, dachte sie, ihre Augen hatten ihr einen Streich gespielt. Der tiefschwarze Körper des neuen Leibdieners schwamm unbewegt in der perlenden Nährflüssigkeit.
Feine Entladungen trübten die Transparenz der Glocke. Das Material stand tatsächlich unter Strom. Und im Innern geriet die Flüssigkeit in starke Bewegung, Wellen entstanden, und Schaum bildete sich.
Als Voltago einmal kurz an den Rand gespült wurde, zuckte ein greller Blitz auf. Aber anschließend wirkte der Körper des Wesens unversehrt. Sie begriff, daß die Metallblöcke unterhalb der Knie alles aufgenommen hatten.
So leicht war Voltago nicht verwundbar.
Nicht einmal jetzt - da er noch ohne Bewußtsein im Bruttank schwamm. „Hilf mir, Bewahrer!" schrie Mamerule. Seine spitze Stimme kippte um, reichte teilweise bis in den Ultraschallbereich. „O Herrscher von Truillau, nun vollende ich das Werk!"
Erneut tanzten seine Finger
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