1549 - Der steinerne Engel
Aber es gab auch Pausen, eben diese fünfundzwanzig Jahre, und die überlebte er als eine Gestalt aus Stein.
Ich sprach ihn darauf an.
»Warum kennt man dich als einen steinernen Engel, wenn du doch so mächtig und vom Geist des Luzifer erfüllt bist?«
»Es ist ein Trick. Ich habe mir selbst Ruhepausen gegönnt und mich in diese steinerne Figur verwandeln lassen. Ich habe nicht immer an der gleichen Stelle gestanden. Ich habe meinen Aufenthaltsort oft gewechselt. Deshalb kenne ich diese Welt sehr genau. Hundert Jahre stand ich jeweils an einem bestimmten Ort und habe mir dort die Opfer geholt. Auch hier ist es nicht anders. Die vierte Generation ist angebrochen und damit hier an der Stelle auch die letzte.«
»Dann ziehst du weiter?«, fragte ich und hoffte, ihn richtig verstanden zu haben.
»Ja, ich werde weiterziehen, nachdem ich hier meine Aufgabe erfüllt habe.« Ich spürte den Stich in meinem Innern. Meine Hände krampften sich zusammen. Ein scharfer Atemzug verließ meine Nase. Neben mir stöhnte Godwin leicht auf.
»Und wohin führt dich dein Weg?«, fragte der Templer.
»Ich weiß es noch nicht. Die Welt ist groß, und Luzifer wird mir den richtigen Weg weisen.«
»Und dich wieder versteinern lassen?«
»Ja, denn das ist unser Ritual, Die Menschen dort werden mich sehen. Sie stehen plötzlich vor einer Figur, die noch nie zuvor da gewesen ist. Sie werden sich Gedanken machen. Einige werden Angst vor ihr bekommen. Andere werden sie anbeten, und irgendwann werde ich mir ihre Kinder holen.«
»Warum?« Diesmal peitschte ihm meine Frage entgegen.
»Es ist so vereinbart.«
»Mit Luzifer?«
»Ja, das ist unser Pakt. Die männlichen Erstgeborenen werde ich mir holen und sie dem absoluten König übergeben. Er sorgt dafür, dass sie in seine Welt gelangen und…«
»Getötet werden?«, rief ich.
»Nein. Er nimmt ihnen nicht das Leben. Er gibt es ihnen. Sie wachsen in seinem Dunstkreis auf. Sie nehmen alles auf, was er ihnen mitgibt, und sie werden zu seinen Geschöpfen.«
»Wie du?«
»Ja, ich bin einer der Ersten gewesen und habe die Welt mit all ihren Stärken und Schwächen erlebt. Es wird weitergehen, und es werden immer neue Engel geboren…«
Es waren harte Worte, die wir da hören mussten. Jetzt also kannte ich die Geschichte, und auch mein Freund Godwin hatte alles verstanden.
»Das ist pervers«, flüsterte er. »Das ist der reine Wahnsinn. So etwas darf es nicht geben.«
»Ich weiß.«
»Und was können wir tun?«, zischte er mir zu.
»Im Moment noch nichts.«
»Was ist mit deinem Kreuz?«
»Ich will noch warten.«
»Warum?«
»Die besten Trümpfe behält man bis zum Schluss. Ich will erst noch wissen, was er vorhat.«
»Den Jungen.«
»Schon. Nur will ich wissen, wie er das anstellt. Er weiß uns als Feinde, also sind wir zuerst an der Reihe, und ich werde ihn noch ein wenig provozieren.«
»Okay, dann los.«
Ich hatte den Todesengel nicht aus den Augen gelassen und sah, dass er den Kopf zu bewegen begann. Er schaute mal auf die rechte, danach auf die linke Seite und schien die Fassaden der Häuser abzusuchen.
Bis er den Kopf still hielt.
Da hatte er ein Ziel gefunden.
Wir sahen es auch.
Es war das Haus der Morenos!
***
Hinter den Mauern war es still, und es lag eine gewisse Spannung in der Luft. Maria hatte es nicht mehr ausgehalten. Sie war nach oben zu ihrem Sohn gegangen, denn sie wollte ihn auf keinen Fall allein lassen.
Auch Joaquim wäre gern mit ihr gegangen, doch er wusste, dass auch jemand nahe der Tür sein musste, um den unteren Bereich unter Kontrolle zu halten.
Luc Domain war bei ihm geblieben. Beide saßen sich am Küchentisch gegenüber. Die Scheibe des Fensters war nicht zu sehen. Ein Vorhang verdeckte sie.
»Es ist so schwer«, flüsterte der Hausherr, »so verdammt schwer. Ich habe meinen Vater verloren und will nicht auch noch meinen Sohn verlieren.«
»Das wird nicht geschehen.«
»Weißt du das genau?«
Luc Domain schüttelte den Kopf.
»Wir sind nicht mehr allein, Joaquim. Wir haben Unterstützung erhalten, vergiss das bitte nicht.«
»Du meinst diesen Engländer?«
»Ja.« Domain hob den rechten Zeigefinger an. »Du solltest nicht so abwertend über ihn sprechen. Er ist schon ein besonderer Mensch.«
»Weißt du das? Hat dein Freund es dir gesagt?«
»Nein, aber ich spüre es. Ich habe ein Gefühl dafür, das kannst du mir glauben.«
»Woher ist er eigentlich gekommen?«
»Keine Ahnung.«
»Aber er kann nicht fliegen oder vom
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