1549 - Der steinerne Engel
seine Stellung verändern, um die Straße überblicken zu können.
Ja, sie waren noch da. Wenn er nach links schaute, sah er auch den Todesengel.
Hinter sich hörte er die Schritte des Mönchs. Er drehte sich nicht um, denn seine Aufmerksamkeit wurde von etwas anderem in Anspruch genommen.
Der Todesengel bewegte sich!
Er breitete seine Schwingen aus, er hob ab, und die Distanz zu den beiden Männern war lächerlich gering.
Der Schrei blieb in seiner Kehle stecken, trotz der Ungeheuerlichkeit, die er mit eigenen Augen erlebte…
***
Ich stand auf der Stelle und hatte plötzlich den Wunsch, tief in den Boden zu versinken. Den eigenen Herzschlag hörte ich überlaut, und eine selten erlebte Enttäuschung hielt mich umfasst. Ich spürte Schauer über meinen Rücken laufen. Mal kalt, mal heiß, und meine Haut zog sich zusammen.
In den nächsten Sekunden fühlte ich mich leer. Ich wollte gar nicht daran denken, was wohl mit Godwin geschehen würde, doch ich kam nicht daran vorbei. Die Gedanken ließen sich einfach nicht verdrängen, und das empfand ich als schlimm.
Ich wusste jetzt, um wen es sich bei dem Todesengel handelte.
Praktisch war er einer aus der Leibwache des Luzif er, der mit dem Kinderraub für weiteren Nachschub sorgte. Damit hatte sich für mich erneut ein Tor geöffnet, sodass ich eine andere Meinung von dem Engel bekam.
Wohin schaffte er den Templer?
Ich wusste die Antwort darauf nicht, aber eines stand für mich fest. Einer wie er würde einen Feind - und das war Godwin ja für ihn - nicht am Leben lassen.
Er würde sterben.
Und ich trug die Schuld daran. Ich hätte mein Kreuz möglicherweise doch früher einsetzen sollen. Ich hatte es nicht getan und würde die Zeche jetzt zahlen müssen.
Es war kalt. Mir war heiß. Trotzdem spürte ich den Wind und hörte auch die Flüsterstimmen, die dafür sorgten, dass ich mich mit einer scharfen Drehung nach links wandte.
Luc Domain und Joaquim Moreno hatten das Haus verlassen und standen nahe des Jeeps an dessen Rückseite. Sie sagten jetzt nichts mehr, schauten mich nur an und bekamen mit, dass ich in einer ohnmächtig wirkenden Geste meine Schultern hob.
»Wir haben - ich meine - wir haben es gesehen«, flüsterte der Mönch.
»Ja«, erwiderte ich in die nachfolgende Stille hinein. »Ich habe versagt. Leider.«
»Nein, das kannst du so nicht sagen, John. Niemand auf der Welt hätte es geschafft. Der Todesengel ist zu stark.«
»Man hat mich aber extra hergeschafft, um ihn zu stoppen.« Ich blieb bei meiner Meinung. »Und jetzt muss ich einsehen, dass ich alles zu leicht genommen habe. Ich habe ihn und seine Kräfte unterschätzt. Das ist es.«
Es gab mir niemand eine Antwort. Das wollte ich auch so. Ich musste alles mit mir selbst ausmachen. Ich hatte verloren. Mein Einsatz hatte nicht ausgereicht, und es war nicht daran zu glauben, dass der Todesengel Godwin am Leben lassen würde. Er hatte ihn sich geholt, und ich fragte mich, wer der Nächste sein würde.
»Geht bitte ins Haus«, bat ich die Männer. »Es ist bestimmt noch nicht vorbei.« Ich nickte dem jungen Moreno zu. »Sie sollten auf Ihren Sohn achtgeben.«
»Der Todesengel kann das Haus nicht betreten!«, erklärte Joaquim Moreno. »Ich habe die Häuser gesichert.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»So war es immer.«
»Das hat nichts zu sagen. Es kann sich auch ändern.«
Da nach meiner Antwort niemand etwas sagte, hoffte ich, dass der Mann einsichtig war.
Niemand sonst ließ sich blicken. Ob Zeugen den schlimmen Vorfall mitbekommen hatten, wusste ich nicht. Es war durchaus möglich, dass sie hinter den Fenstern gehockt hatten, aber sie waren zu vorsichtig gewesen, um sich zu zeigen.
Der Mönch trat an mich heran. »Glauben Sie, dass Godwin noch eine Chance hat?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber ich trage die Schuld.«
»Wieso das?«
»Ich habe ihn auf den steinernen Engel aufmerksam gemacht. Ich muss mir die Vorwürfe machen. Er hätte nie etwas von diesem Todesengel erfahren, wenn ich mich nicht dazu entschlossen hätte, ihn um seine Hilfe zu bitten. Dass so etwas geschehen würde, hätte ich nie gedacht.«
Er saugte scharf die Luft ein und blickte nach oben in einen Himmel, der dunkel geworden war.
»Wo liegt die Hölle?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht.«
»Oben oder unten?«
»Nichts stimmt.«
Luc Domain nickte. »Ja, so sehe ich das auch. Die Hölle ist nur konkret, wenn wir uns ein Bild von ihr machen. Ansonsten macht sie, was sie will, denke ich.«
»Und
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