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155 - Kriminalfall Kaprun

155 - Kriminalfall Kaprun

Titel: 155 - Kriminalfall Kaprun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uhl Hannes
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der Grenze zu Salzburg, folgte die nächste Megabaustelle, wieder ein Staudamm, bevor er sich als Sachverständiger für Autoelektrik, später für Baumaschinen sowie Kfz- und Maschinenbrandschaden selbstständig machte.
    Jetzt, bei der Dekra, gehen mehr als 100 Brandschäden im Jahr über seinen Schreibtisch. Auto- oder Omnibusbrände, Brandschäden nach Kollision oder Todesfälle nach unerlaubten Manipulationen am Fahrzeug. Aber ein Rennbootmotor, wie er jetzt vor ihm steht, ist ihm noch nie untergekommen. Beim Starten ist das PS-Ungetüm explodiert und hat dem Schiffseigner beide Beine abgerissen.
    »Ein kniffliger Fall«, sagt Muhr zu seinem Assistenten, als es an der Tür klopft und ein Kollege seinen Kopf in den Raum streckt: »Toni, da war ein Anruf für dich beim Chef. Scheint wichtig zu sein. Es geht um diese grausige Geschichte in Kaprun, der Brand im Tunnel. Du sollst umgehend zurückrufen.«
    Wie ein Blitz durchfährt es Muhr, als er Kaprun hört. Vorgestern noch, am Samstag, hat er ungläubig die Fernsehberichte über dieKatastrophe verfolgt. Sollte jetzt dieser Wahnsinn in sein Leben treten? Er geht schnellen Schrittes durch die verwinkelten Gänge des Dekra-Sitzes in München. Die Tür zum Chefbüro steht weit offen, also tritt er ungefragt ein und grüßt seinen Vorgesetzten, der ihm wortlos einen Zettel übereicht. »0662 …«, sagt Muhr vor sich hin, »eine Salzburger Nummer.«
    »Das ist die Nummer der Untersuchungsrichterin, oder wie das bei euch heißt, die mit der Katastrophe befasst ist«, erklärt ihm sein Chef und reicht ihm den Hörer, »die verlangt nach dir. Komm, ruf schon an.«
    Keine drei Stunden später steht Muhr im Baumarkt und überlegt, was er für den Kaprun-Einsatz brauchen könnte. Eine Schaufel ist das Erste, was ihm einfällt. In dem Tunnel muss es so heftig gebrannt haben, dass außer einem Haufen Brandschutt und einem Stahlgerippe nicht mehr viel übrig sein wird. Der Untersuchungsrichterin hat er in dem Telefongespräch zugesagt, als Hauptgutachter in Kaprun zu fungieren, vorbehaltlich zweier Voraussetzungen. Er will Unterstützung von weiteren Sachverständigen bekommen und seinen Assistenten Lang mitnehmen. »Alleine ist diese Mammutaufgabe nicht bewältigbar«, hat er gesagt, und die Untersuchungsrichterin hat ihm zugestimmt.
    Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass sich Muhr als Sachverständiger beim Brand im Salzburger Tauerntunnel einen Namen gemacht hat. Deshalb sind die Untersuchungsrichterin und die Staatsanwältin auf den Tiroler gekommen. Damals, am 29. Mai 1999, sind zwölf Menschen ums Leben gekommen, nachdem ein Lkw auf eine Autokolonne aufgefahren und dabei Benzin ausgetreten war. Ein Lastwagen voller Spraydosen wirkte als extremer Brandbeschleuniger, ermittelte Muhr, und so entwickelte sich ein Inferno. Schon wieder ein Tunnelbrand, denkt er sich, aber diesmal eine andere Größenordnung.
    Nachmittags fragt er noch bei der Dekra-Zentrale in Stuttgart nach, ob die Leitung ihn für die Tätigkeit freistellen würde.
    »Ja klar, mach das«, ist die Antwort, die seine letzten Zweifel zerstreut.
    Am nächsten Tag, gleich in der Früh, ruft Muhr noch einmal in Salzburg an, um definitiv zuzusagen. Er werde morgen in Kaprun eintreffen. Die Untersuchungsrichterin wirkt erleichtert, das merkt er selbst am Telefon. Die Brandermittler des Innenministeriums sind schon vor Ort, schickt sie noch nach, die werden unterstützend tätig sein, genauso wie die Experten des Landeskriminalamtes. »Melden Sie sich beim Einsatzleiter Franz Lang, der wird sie in die Gegebenheiten einführen.«
    »Ja, passt«, antwortet Muhr und muss seine Glücksgefühle unterdrücken, »den Franz kenn ich noch vom Tauerntunnelbrand.«
    Als er auflegt, ist das Gefühl schon wieder verflogen. Er fragt sich, auf was er sich da eigentlich gerade eingelassen hat.
    Am späten Vormittag fährt er nach Hause, nach Reutte im Tiroler Außerfern, keine zwei Stunden südwestlich von München. Schon ein gutes Stück vor der Grenze kann er das Radioprogramm von Ö1 empfangen. Das Mittagsjournal steht immer noch ganz im Zeichen der Katastrophe. Die Gletscherbahnen Kaprun haben eine Erklärung veröffentlicht. Unter der Überschrift »Wir trauern« heißt es unter anderem: »Mit großer Erschütterung und tiefer Betroffenheit müssen wir mitteilen, dass bei dem unfassbaren Unglück bei der Standseilbahn 155 Gäste und Mitarbeiter des Kitzsteinhorns ihr Leben verloren haben. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl

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