155 - Kriminalfall Kaprun
von mehr als einem Kilometer durch den unbeleuchteten Tunnel erreichen sie den Gegenzug, den »Gletscherdrachen«. Außen an der Zugwand klebt Ruß, aber drinnen sieht er fast aus wie neu. Sie gehen im Zug nach unten und wundern sich über die Ringgummimatten am Boden der Abteile.
»Brandhemmend sieht anders aus«, sagt Muhr.
Mit wachsender Anspannung nähern sie sich dem unteren Führerstand, wo das Inferno in der »Kitzsteingams« seinen Ausgang genommen hat. Sie öffnen die Tür zum Führerstand und trauen ihren Augen nicht. Dort, wo der Heizlüfter zu erwarten war, klafft nur ein Loch in der Wand des Fahrerpults, das den Blick auf die Hydraulikölleitungen freigibt. Keine Spur vom Holzverbau, von der Dämmwolle oder vom Heizlüfter, dem Nummer-Eins-Kandidaten für die Brandentstehung. Verärgert treten sie den Rückzug an. So können sie unmöglich ermitteln. Kaum stehen sie wieder im Tageslicht, ruft Muhr die Untersuchungsrichterin an, um sich zu beschweren. »So geht das nicht. Ich brauche das Befundmaterial der ersten Stunde, und zwar sofort. Momentan sind mir die Hände gebunden.«
Sie werde sich darum kümmern, versichert die Untersuchungsrichterin. Muhr tröstet sich damit, dass es am Abend zu einem Treffen mit den KTZ -Ermittlern kommt. Da sollten die Probleme endlich aus der Welt geschaffen werden. Nach dem Abendessen wartet er mit seinem Assistenten an der Bar. Er wartet vergebens. Niemand taucht auf, weder der Logistiker, mit dem sie am Vorabend das Treffen vereinbart haben, noch irgendein Ermittler des Innenministeriums. Muhr ist wieder einmal alleine gelassen worden. Der Hauptgutachter, der wichtigste Ermittler im Auftrag der Strafbehörde, fühlt sich von den Ermittlern der ersten Stunde ignoriert.
Tags darauf tappt Muhr weiter im Dunkeln. Keine feststellbare Verhaltensänderung der KTZ -Beamten, die neben Muhr ermitteln, aber nicht mit ihm, geschweige denn für ihn. Sie gehen sich geflissentlich aus dem Weg, selbst in dem engen Tunnel. Muhr entschließt sich, den Auftrag zur Bergung der Zuggarnitur zu erteilen, weil im Tunnel eine Brandursachenermittlung wenig zielführend ist. Außerdem gibt er den Auftrag, den Brandschutt über und unter dem Zug bergen und sichten zu lassen.
Am Abend reisen die KTZ -Beamten zurück nach Wien. Ihre Ermittlungen sind vorerst abgeschlossen. Mit im Gepäck haben sie die Beweismittel, auf die Muhr wartet. Den ausgebauten Heizlüfter, eine Probe Hydrauliköl und ein paar Zigarettenstummel aus den Führerständen, dazu die Pläne vom Zug und der Seilbahnanlage.
Auch Muhr reist an diesem Freitag heim. Er ist sauer. So etwas hat er noch nie erlebt. Außer den Fotos, die er und sein Assistent im Tunnel angefertigt haben, und ihren unmittelbaren Eindrücken, haben sie nichts in der Hand. Ein kaltgestellter Hauptgutachter, ohne Beweismittel, ohne Unterlagen und offenbar ohne Unterstützung.
Kapitel 17
Am Freitag nach der Katastrophe trauert ganz Österreich. Die Stadt Salzburg trägt schwarz, an öffentlichen Gebäuden, Kirchen und an beiden Türmen des Doms hängen lange schwarze Fahnen, und aus dunklen Wolken fällt dichter Regen.
Die offizielle Trauerfeier findet im Salzburger Dom statt. Wer kurz vor dem Betreten des Haupteingangs hochschaut, sieht die Schienen der Standseilbahn, die zur Festung Hohensalzburg fährt, die jedoch während des Gottesdienstes stillsteht. Die Kirche ist übervoll,jeder Platz ist besetzt mit Vertretern der österreichischen Bundesregierung und der Landesregierungen sowie den im Kaprun-Einsatz tätigen Organisationen wie Feuerwehr, Bundesheer, Rotes Kreuz, Bergrettung und Gendarmerie. Aus Wels sind viele Bürger angereist, denn aufgrund eines gemeinsamen Skiausfluges auf das Kitzsteinhorn verlor die Stadtverwaltung dreizehn langjährig tätige Mitarbeiter sowie einen Gemeinderat und einen Anwalt. Alleine in Wels bleiben elf Waisen zurück, einige davon verloren beide Eltern.
Das Schluchzen der Angehörigen erfüllt den Kirchenraum und trifft jeden, niemand bleibt davon unberührt. Neben Bundespräsident Thomas Klestil und Kanzler Wolfgang Schüssel sind aus Deutschland auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber nach Salzburg gekommen. Gemeinsam mit ihren Landsleuten aus Japan und Slowenien trauern die Botschafter aus Wien sowie andere diplomatische Vertreter um die Toten aus ihren Ländern.
Im Altarraum erinnern Fotos an die Toten. Gestecke mit weißen Rosen schmücken den Dom. Vor dem
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