155 - Kriminalfall Kaprun
Salzburg und mehrere Behördenvertreter halten die Salzburger Eishalle in der Nähe des Gerichts für einen geeigneten Ort, weil es dort kühl ist, die Halle zentral liegt und gut erreichbar ist.
Doch als Staatsanwältin Danninger-Soriat von diesem Vorschlag hört, greift sie zum Telefon. Sie hat die verzweifelte Trauer der Angehörigenin Kaprun erlebt und will diese schützen. »Mit aller Entschiedenheit muss ich mich gegen die Eishalle als Ort der Aufbahrung wehren«, erklärt sie. »Wir haben Reporter aus Dutzenden Ländern hier, von denen einige alles tun, um ein gutes Pressefoto zu schießen. Uns muss es ein hauptsächliches Anliegen sein, dass die Angehörigen sich in Ruhe von den Toten verabschieden können. Auch muss unbedingt eine Leichenschau durch neugierige Bürger verhindert werden.«
Aufbahrung der Toten in einem Flughafenhangar.
Schließlich wird auf dem Gelände des Flughafens Salzburg ein Hangar als würdiger Ort gefunden, der bereits durch Zäune abgesperrt ist und den zusätzliche Polizeikräfte leicht sichern können. Der Vorschlag überzeugt und erweist sich auch als praktisch, denn Hubschrauber des Bundesheeres landen nun in der Nähe des Hangars und bringen jene Toten, die bereits obduziert und identifiziert werden konnten. In den ersten Tagen ist es eine symbolische Aufbahrung, weil viele Särge noch leer sind. Doch das Bild der 155 in weiße Tücher gehüllten Särge mit weißen Blumen und jeweils einer roten Kerze geht um die Welt. In der Mitte der Särge führt ein roter Teppich zu einem improvisierten Altar. Kübel mit großen Pflanzen stehen an den Wänden, um die Atmosphäre der Flughalle dem traurigen Anlass anzupassen. An den Wänden hängen die Fahnen der Länder, aus denen die Opfer stammen: Österreich (92 Opfer), Deutschland (37), Japan (10), USA (8), Slowenien (4), Holland (2), Großbritannien (1) und Tschechien (1).
Es erweist sich als gut, dass nur Angehörige und Helfer in die Halle dürfen, denn es spielen sich herzergreifende Szenen ab. Oft betreten die Familien noch gefasst die Halle, aber wenn sie dann vor dem Sarg ihres Kindes, Ehegatten oder Angehörigen stehen, wird die brutale Härte des Todes erst richtig spürbar. Besonders Eltern brechen reihenweise zusammen und bleiben laut weinend auf dem Sarg liegen. Ihnen hat die Katastrophe das Wichtigste in ihrem Leben genommen. Erst hier, im Hangar auf dem Salzburger Flugplatz, wird die ganze Tragik und furchtbare Wahrheit der Katastrophe im Tunnel der Gletscherbahn fassbar.
Während die Familien sich trauernd und weinend von den Toten verabschieden, findet in Kaprun eine Pressekonferenz statt, an der auch die Vizekanzlerin der schwarz-blauen Regierung teilnimmt. Als Polizeimajor Lang über die Bergungsarbeiten im Tunnel und den Abtransport der Toten informiert und dabei mehrfach das Wort Leichen verwendet, senkt sie ihre Stimme zu einem Flüstern und sagt zu ihm: »Sagen Sie Opfer statt Leichen, das klingt besser.«
Kapitel 16
»1, 2, 3, los!« Mit einer übertriebenen Körperbewegung drückt Anton Muhr den Starter durch. Der Motor ächzt drei- bis viermal, bis er unter Stottern losbrummt.
»Funke?«, fragt er.
»Nein, wieder nichts«, sagt sein Assistent. »Ja, gibt’s denn das«, bricht es aus Muhr heraus. Er greift in seine Manteltasche, holt Pfeife und Stopfer heraus, den Tabak aus der anderen Tasche, und beginnt zu stopfen. »Die Woche fängt schon gut an«, sagt Muhr, lacht hustend in sich hinein und blickt zu seinem Assistenten. Dergrinst zurück, streckt sein Kinn hoch und sagt: »Das ist halt doch kein Dieselmotor.«
Seit mehr als 13 Jahren arbeitet Anton Muhr bei der Dekra, der deutschen Prüfgesellschaft für Kraftfahrzeuge und technische Anlagen. Mehr als 20 Jahre lang war der 58-jährige Meister der Autoelektrik selbstständig. Aber seit ihn die Dekra als Sachverständigen nach München geholt hat, genießt er die Vorteile von fünf Wochen Urlaub, freien Wochenenden und monatlichem Gehalt.
Was Motoren betrifft, so kann bei der Dekra kaum jemand mit Muhr mithalten. Zeit seines Lebens hat sich der Tiroler mit den buschigen Augenbrauen damit beschäftigt. Schon mit 22 ist er von Wels, Oberösterreich, nach Tirol ins Kaunertal gezogen, weil sie dort beim Kraftwerksbau gar nicht genug Autoelektriker bekommen konnten. Mehr als 100 Lkw, 50 Planierraupen, etliche Bagger, mehrere Stoll-Loks und massenhaft Kompressoren sowie Stromgeneratoren gingen durch seine jungen Meisterhände. Am Gerlos in Tirol, an
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