155 - Kriminalfall Kaprun
sind bei den Angehörigen, Familien und Freunden der Opfer.« Der Skibetrieb auf dem Gletscher soll am 24. November wieder starten, heißt es außerdem.
Die haben es aber eilig, denkt Muhr.
Bei einer Pressekonferenz wird der Weltöffentlichkeit zum ersten Mal mitgeteilt, dass es sich wahrscheinlich um einen technischen Defekt am Zug handelt, der das Inferno ausgelöst hat. Der leitende Kriminaltechniker der KTZ erklärt vor hunderten Journalisten allen Spekulationen in Richtung Sabotage, Brandstiftung sowie Benzinoder Feuerwerkskörpern im Zug eine Absage. »Wir haben keinerlei Hinweise auf Fremdhandlungen.«
Auch Muhrs Bekannter, Chefermittler Franz Lang, kommt ausführlich zu Wort. Er berichtet von sehr schwierigen Ermittlungen. Um den Unglückszug herum liege jede Menge Brandschutt. Steinschlag, Kälte und Wasser behinderten die Ermittlungen. Zudem ist die Unfallstelle mit Öl und Schmierstoffen bedeckt. Drei Räume in Berg- und Talstation wurden gerichtlich versiegelt, was aber nicht automatisch heiße, so Lang, »dass wir belastendes Material gefunden haben«. Nachdenklich kommt Muhr in Reutte an. Er geht an diesem Tag früh schlafen, auch wenn er kaum ein Auge zubekommt.
Am nächsten Tag, dem vierten Tag nach der Katastrophe, trifft Muhr als nunmehriger Hauptgutachter frühmorgens in Kaprun ein. Er umfährt das Ortszentrum, indem er den Schaufelbergtunnel direkt in Richtung Gletscherbahn nimmt. Beim Umspannwerk der Tauernkraftwerke bleibt er bei der Straßensperre der Gendarmerie stehen. »Ich bin Anton Muhr, der Hauptsachverständige. Franz Lang weiß Bescheid, dass ich komme.«
Ein Beamter ruft Lang an, um sicherzugehen, und gibt nach einem kurzen Gespräch das Handy weiter.
»Servus Toni, komm rauf.«
Muhr fährt weiter ins Kapruner Tal, vorbei an der Sigmund-Thun-Klamm, an der altertümlichen Maiskogel-Seilbahn und am türkisblauen Klammsee, bis in der Ferne die stählerne Zufahrtsrampe der Gletscherbahn wie ein Fanal auftaucht. Mit jedem Meter merkt Muhr, wie seine Anspannung steigt. Vom traumhaften Wetter des Unglückstages ist jetzt nichts mehr übrig. Es hat zugezogen, und an den Bergflanken ziehen Nebelfelder durch. Er stellt sein Auto auf einem der jetzt völlig überdimensional wirkenden leeren Parkplätze ab und zündet sich noch schnell eine Pfeife an, bevor er sich auf den Weg zur Einsatzzentrale im Talboden Wüstelau macht.
Vom hektischen Treiben der ersten Tage, wie er es in den Nachrichten gesehen hat, ist jetzt nichts mehr zu merken. Die Toten sindalle geborgen und nach Salzburg geflogen worden. Die Hilfskräfte von Feuerwehr und Rettung sind zum Großteil wieder abgezogen. Nun soll die Stunde der Ermittler schlagen.
Ein paar Militär- und Polizeihubschrauber sowie drei große, weiße Zelte, darunter die improvisierte Einsatzzentrale, stehen noch auf der Wiese. Schnell erkennt der Neuankömmling seinen alten Bekannten Franz Lang vor einem Zelt. Es ist ein herzliches Wiedersehen, wenn auch merklich gedämpft im Angesicht dieser Katastrophe. Lang trommelt die Ermittler von der KTZ und dem Landeskriminalamt zusammen und stellt die Herrschaften einander vor. »Das ist Toni Muhr, der gerichtlich bestellte Sachverständige«, sagt er. »So wie es aussieht, werden wir alle ihm zuarbeiten.«
Muhr nickt den Ermittlern zu, zieht die Mundwinkel freundlich nach oben und wundert sich, warum er nur abschätzige Blicke erntet. Lang wendet sich noch einmal Muhr zu, schüttelt ihm die Hand, bevor er zur nächsten Pressekonferenz muss. »Sie gehen jetzt in den Tunnel, Toni. Schließ dich ihnen an«, sagt er noch.
Muhr lässt seinen Blick hinauf zum Tunnelportal schweifen. Was ihn dort oben wohl erwartet? Als er seinen Blick wieder den Ermittlern zuwendet, haben die ihm schon den Rücken zugekehrt und sich ohne ihn auf den Weg zur Rampe gemacht. Klar, denkt er, wer freut sich schon darüber, im eigenen Kompetenzbereich einen Externen arbeiten lassen zu müssen.
Lange blickt er den Ermittlern nach, bevor er sich in der improvisierten Einsatzzentrale umsieht. Dort entdeckt er einen Kriminaltechniker, den er kennt. »Die Leute von der KTZ sollten mich in den Tunnel mitnehmen und haben mich einfach stehen gelassen«, sagt er zu ihm. »Weißt du, was da los ist?«
»Die hohen Herren aus Wien sind wahrscheinlich beleidigt, weil sie nicht mit der Gutachtenserstellung beauftragt werden. Die waren als Erste am Tatort, haben hier alles im Griff, und jetzt sollen sie einem dahergelaufenen Tiroler zuarbeiten.
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