155 - Kriminalfall Kaprun
Das mögen sie wahrscheinlich nicht.«
»Dachte ich mir schon.«
»Vergiss es«, sagt der Kriminaltechniker, »geh mit mir in den Tunnel und mach dir selbst ein Bild.«
Nach einem langen Fußmarsch über die Rampe und mehr als 500 Metern im Tunnel, sieht Muhr zum ersten Mal das Brandwrack im grellen Licht der Scheinwerfer. Was für ein Chaos, denkt er. Es riecht nach kalter Asche und Chemie. Die Nottreppe rechts an der Tunnelwand ist durch Hitze derart aufgeworfen, dass sie nicht begehbar ist. Also steigen die Ermittler, deren Gesichter er teilweise vom ersten unerfreulichen Gespräch bei seiner Ankunft wiedererkennt, notgedrungen auf den Resten des Zuges herum. Muhr stellt fest, dass der Zug einseitig stärker durch den Brand zerstört ist, genau dort, wo Zeugen den Brandausbruch beobachtet hatten. Er erfährt von seinem Begleiter, dass hier im Führerstand der Heizlüfter positioniert war. »Die Leute von der KTZ haben auch erzählt, dass es rund um den Heizlüfter im erhaltenen Gegenzug Holzeinbauten und Dämmwolle gibt, und dass die Position des Heizlüfters überhaupt sehr interessant sein soll. Im erhaltenen Gegenzug ist alles gut sichtbar, eins zu eins.«
»Ein Glück, dass es zwei Züge gab und nur einer abgebrannt ist«, sagt Muhr, »das sollte uns helfen.« Sein Blick schweift über die Reste der Führerkabine, und er wundert sich, dass im Brandschutt große Mengen von verbranntem glasfaserverstärktem Kunststoff zu sehen sind. Es handelt sich um Kunststoff mit der Bezeichnung GFK . Im Radio hat es geheißen, dass am Zug nur schwer entflammbare Materialien verbaut waren. Aber es gibt eben auch GFK , der sehr gut brennt, beim Abbrand stark qualmt und dabei giftige Gase freisetzt.
Muhrs Begleiter stellt ihm einen Professor für Seilbahntechnik der Technischen Universität Wien vor, der ebenfalls hier beim Brandwrack unterwegs ist, weil er die Seilbahnanlage, die Betriebsvorschriften und die Sicherheitseinrichtungen begutachtet. Schnell sind sich die drei einig, dass eine Untersuchung des Brandwracks hier im Tunnel unmöglich ist.
»Als erstes muss der Brandschutt weg«, sagt Muhr, »wir werden das Wrack in Sektoren einteilen und den Brandschutt asservieren. Dann muss der Zug hier raus.«
Muhr geht noch hinauf zum Zuganfang, um sich einen Überblick zu verschaffen, dann hat er fürs Erste genug. »Wir brauchen Pläne vom Zug und von der Seilbahnanlage, sonst bringt das nichts. Komm, gehen wir raus.«
Am Abend trifft Muhr im Hotel »Vier Jahreszeiten« in der Schlossstraße nahe der Burg Kaprun ein. Sein Assistent ist mittlerweile dazugestoßen. Die Untersuchungsrichterin hat ihnen dieses Vier-Sterne-Hotel nahegelegt, weil die KTZ -Ermittler auch dort untergebracht sind. Nach einer ausgiebigen Dusche gehen Muhr und sein Assistent hinunter an die Bar und treffen dort auf einen Logistiker der Landesgendarmerie Salzburg. »Was macht ihr eigentlich da?«, fragt der Mann Muhr, »es ist ja ohnedies die KTZ da.«
»Wir sind vom Gericht als Brandsachverständige beauftragt, das machen wir hier«, antwortet Muhr.
In der Nähe der Bar sitzt jener Kriminaltechniker, der Muhr am Vormittag zum Unglückszug in den Tunnel begleitet hat. Er steht auf und stellt sich zwischen Muhr und die Gendarmen.
»Das sind die Hauptgutachter«, sagt er und deutet auf Muhr und seinen Assistenten, »das will die Untersuchungsrichterin so, und das ist zu akzeptieren. Die Bestellung eines externen Brandsachverständigen ist unabdingbar, weil nicht auszuschließen ist, dass Beamte des Verkehrsministeriums angeklagt werden. Jeder Anschein der Befangenheit soll dadurch vermieden werden.«
Der Gendarm schüttelt den Kopf, doch er willigt ein, für den kommenden Abend ein Treffen aller Ermittler mit den Gutachtern zu organisieren. »22 Uhr an der Bar«, schlägt er vor.
»Passt.«
Auch am nächsten Tag, dem fünften seit der Katastrophe, ermitteln die Beamten der Kriminaltechnischen Zentralstelle ohne Hauptgutachter im Tunnel. Muhr und sein Assistent gehen gezwungenermaßenauf eigene Faust vor, ermitteln parallel, immer einen Gendarmen an ihrer Seite. Zuerst sprechen sie im Büro der Gletscherbahn vor, um Pläne des Zuges und der Bahn zu bekommen. Vergeblich. Die KTZ hat die Dokumente bereits gesichtet und mitgenommen, erfahren sie.
Frustriert machen sie sich mit der Panoramabahn auf den Weg hoch zum Gletscher, um den Tunnel von oben herab zu begehen und sich ein erstes Bild vom erhaltenen Gegenzug zu machen. Nach einem Fußmarsch
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