155 - Kriminalfall Kaprun
Kruzifix befindet sich ein Gebinde mit 155 tiefroten Rosen, eine für jedes der Opfer. Bewegt spricht Bundespräsident Klestil den Angehörigen sein Beileid aus und versucht dabei, Pathos zu vermeiden. »Es gibt Situationen und Momente, in denen Worte nichts bewirken können, weil unserem Bewusstsein die Fähigkeit der Formulierung fehlt. Und oft genug ist es schon tröstlich, liebevoll schweigen zu können. Heute ist eine solche Situation. Und nur die Stille der Trauer kann in Wahrheit den Schmerz verdeutlichen, den wir empfinden. Wohl am stärksten Sie, die Väter und Mütter, Frauen und Kinder, Verwandten und Freunde jener Menschen, um die wir trauern und denen wir in Liebe ›Auf Wiedersehen‹ sagen.«
»Kaum ein anderes Unglück hat in Österreich so viel an echter Betroffenheit, Hilfsbereitschaft und Mitgefühl ausgelöst, wie die Tragödie vom Kitzsteinhorn. Und kaum eine andere Katastrophe bleibt mit so starken Emotionen verbunden. In jedem von uns.« Erdankt den Rettungs- und Bergemannschaften für ihren schweren Einsatz rund um die Uhr und fordert: »Für unseren Staat und seine Behörden muss die Katastrophe vom Kitzsteinhorn ein unaufschiebbarer Auftrag sein, alles daranzusetzen, ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Das schreckliche Unglück soll aber auch Mahnung zu einem behutsamen und maßvollen Umgang mit der Natur sein.«
»Die Katastrophe vom Kitzsteinhorn ist eine bleibende Mahnung an die Verantwortung, die jeder von uns in sich trägt«, appelliert er an alle Verantwortungsträger.
Als er sich von den Opfern verabschiedet, spricht er für das gesamte Land. »Und mit mir verneigen sich heute alle Österreicherinnen und Österreicher in Ehrfurcht vor den Toten.«
Als der Bundespräsident sagt, »die Opfer und ihre Familien stehen in dieser Stunde im Mittelpunkt all unserer Gedanken, ohne Unterschied ihrer Nationalität oder Konfession«, beschreibt er die Stimmung im Land. Die gemeinsame Trauer eint. Umso fragwürdiger verhält sich der Salzburger Erzbischof Georg Eder, der nicht eint, sondern bewusst spaltet. Er betont Unterschiede zwischen katholischen und andersgläubigen Toten und verweigert der evangelischen Kirche einen ökumenischen Gottesdienst mit Vertretern aller Glaubensrichtungen. Nur mühsam lässt sich der erzkonservative katholische Bischof das Zugeständnis einer gemeinsamen Feier im Dom abringen, die jedoch nur nach seinen Vorstellungen und nur mit seiner eigenen Predigt stattfindet. In Deutschland, anderen europäischen Ländern und in den USA wird dieses Verhalten mit Befremden aufgenommen. Dort ist es selbstverständlich, dass bei Katastrophen ökumenische Trauergottesdienste stattfinden. Auch Medien berichten über diesen Eklat, und ausländische oder nichtkatholische Opferfamilien sehen in dieser Haltung den starrköpfigen Affront eines unchristlichen Bischofs. Auch in seiner Predigt betont Eder das Trennende, die Eucharistie: »Ich feiere als Priester die heilige Messe, dasKreuzesopfer Jesu Christi, die Eucharistie für die Toten. Sie ist für uns, für die Katholiken, das einmalige Kreuzesopfer Jesu Christi. Die Todesschreie aus dem Tunnel im Kitzsteinhorn hörte niemand. Aber der Todesschrei Jesu ist noch aus dem Lukasevangelium zu hören.«
Dann stellt er eine Frage, die viele Angehörige entsetzt. »Haben sie an ihn geglaubt, haben sie zu ihm gerufen in jener Stunde, in der letzten Sekunde? Liebe Brüder und Schwestern, Gott braucht vom Menschen her nur ein kleines Zeichen der Liebe, ein ›Ja‹, ein Wort, wie Jesus es auch gesprochen hat. ›Abba – Vater‹. Nicht mehr.«
Verstört fragen die Hinterbliebenen nach dem Sinn dieser Aussage. »Weiß dieser Bischof nicht, dass aus dem Tunnel im Kitzsteinhorn keine Todesschreie kommen konnten, weil die Menschen im Todeskampf nach Luft rangen? Wer konnte da noch ein ›Ja‹ rufen? Nimmt Gott sie nun nicht auf, weil dieses letzte ›Abba – Vater‹ fehlt?«
Die Predigt Eders ist kein Trost, kein geistlicher Beistand. Auch sein Schlusssatz ist keine Hilfe. »Liebe leidende und trauernde Brüder und Schwestern, ich deute es so: Im Glauben glauben wir. Wir sehen sie oben! Beten wir. Wir sehen uns oben! Und freuen wir uns schon ein wenig darüber. Wir sehen uns droben wieder. Diese Freude wird groß sein und nie enden. Amen.«
Dagegen zeugen die Worte der Männer, die am vergeblichen Rettungseinsatz direkt beteiligt waren, von wahrer Betroffenheit und authentischer Anteilnahme. »Diese Erde ist nass von
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