155 - Kriminalfall Kaprun
Katastrophe einen Ministerwechsel. Nach nur neun Monaten hat der vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider nach Wien entsandte Michael Schmid aufgegeben. Nun schickt der FPÖ -Chef die Oberösterreicherin Monika Forstinger ins Rennen. Am 14. November wird sie Ministerin, drei Tage nach der Katastrophe. Sie stellt sich der Presse und antwortet freundlich, aber naturgemäß eher allgemein, spricht von einem tragischen Unglück und erhält dafür Lob vom Kanzler.
Als Kanzler Wolfgang Schüssel dem Nationalrat die neue Infrastrukturministerin präsentiert, betonte er, wie großartig er es findet, dass sich die Ministerin unmittelbar nach der Katastrophe von Kaprun an den Ort des Geschehens begeben und sofort notwendige Konsequenzen eingeleitet hat. »Österreich ist ein Tourismusland und hat größtes Interesse daran, seinen Gästen ein Optimum an Sicherheit zu bieten«, erklärt der Kanzler und dankt Monika Forstinger für ihren Einsatz. Im Ministerium entsteht die Idee, eine internationale Expertenkommission einzuberufen, um Sicherheits-, Brandschutz- und Anlagenkonzeptionen von Tunnelseilbahnen zu überprüfen und abzugleichen.
Die junge Ministerin kontaktiert ihre Ministerkollegen in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz. Bereits am Telefon erhält sie Zustimmung, denn »international« ist immer gut, »Expertenkommission« auch, und Österreich zahlt. Die Ministerin hat bereits nach wenigen Tagen im neuen Amt ihren ersten internationalen Auftritt. Voller Tatendrang gibt sie den Startschuss für die »Internationale Expertenkommission Tunnelstandseilbahnen«.
Horst Kühschelm wirkt als Chef der Obersten Seilbahnbehörde bei der Zusammenstellung der Kommission mit, und seine Amtskollegen aus der Schweiz, Italien, Deutschland und Frankreich sagenihm Unterstützung zu. Monika Forstinger darf stolz sein, dass sie in so kurzer Zeit ein derart hochrangig besetztes Expertenteam gewinnen konnte. Im Ministerrat berichtet Forstinger über ihren Erfolg und erhält zum zweiten Mal Lob des Kanzlers. Auch die Pressesprecher der Regierung freuen sich. Nun können sie bei kritischen Anfragen immer auf die »Internationale Expertenkommission« verweisen, deren Ergebnis sie nicht vorgreifen wollen. Der Druck der Medien lässt nach.
Die Kommission tagt zum ersten Mal am 28. November 2000, legt im Juni 2001 einen Zwischenbericht vor und trifft sich insgesamt zu fünf Arbeitssitzungen. Dazwischen gibt es einen »ergänzend geführten schriftlichen Meinungsaustausch«.
Im Dezember erhält die Ministerin ein Anschreiben, das der Italiener Heinrich Brugger, der Schweizer Hans-Ruedi Gassmann und zwei österreichische Ingenieure am 11. Dezember 2001 unterschreiben. Als Anlage ist ein »einstimmig verabschiedeter Endbericht« beigefügt.
Als Ergebnis der Arbeit der Expertenkommission stellen sie in dem Schreiben fest, »dass das Unglück in Kaprun ein in diesem Ausmaß neues, bisher nicht erkanntes Gefährdungsbild darstellt«. Dann heißt es noch, dass das Brandrisiko bei Standseilbahnen geringer als bei anderen Verkehrsanlagen ist und bisher keine Brandfälle registriert wurden. »Demnach bilden Rettungs- oder Selbstrettungskonzepte, wie sie in neueren Eisenbahn- oder Straßentunnels vorgesehen sind, keine zutreffende Grundlage der Anlagenkonzeption von Tunnelstandseilbahnen.«
In Kaprun sind also keine Fehler gemacht worden und das Fehlen von Rettungskonzepten ist kein Mangel, weil es bisher keine Brandfälle gab. So lässt sich das interpretieren. Freispruch für das Verkehrsministerium also und Freispruch für die Oberste Eisenbahnbehörde.
Kapitel 25
In der Wiener Redaktion einer österreichischen Tageszeitung sitzt Karl Kovac vor seinem Laptop. Er haut in die Tasten und berichtet von einem Gerichtsprozess, der an diesem Tag im Wiener Landesgericht verhandelt worden ist.
Karli, wie ihn seine Kollegen nennen, ist mit Herz und Seele Gerichtsreporter. Der rundliche Wiener in ausgewaschenen Jeans ist bestens vernetzt. Die meisten Richter, Staatsanwälte, Verteidiger sowie viele Gauner, Zuhälter und Stammkunden bei Gericht schätzen den Doktor der Germanistik, der sein Jurastudium abgebrochen hat, weil es ihm zu langweilig war. Seine Artikel sind treffsicher, seine Quellen zuverlässig, und die Leser lieben seine lebensnahen Reportagen. Nicht nur Anwälte spielen ihm Informationen zu, auch aus den Gerichten und selbst aus dem Justizministerium erhält er Tipps. Sein Kopf mit den grauen längeren Haaren und einer
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