155 - Kriminalfall Kaprun
kommentiert. Manfred Seiss erklärt, dass dieser Satz eine Erfindung deutscher Medien sei. Die Medienstelle des Landes- und Oberlandesgerichts habe das nicht rechtzeitig klargestellt und ihn »im Regen stehen lassen«.
Während die Hinterbliebenen immer noch verstört sind, sitzt Richter Seiss schon beim Szenewirt. Nach dem Verlesen der Urteilsbegründung packt er seine Sachen, zieht die Robe aus und lässt sich durch seine Personenschützer in die Salzburger Innenstadt zu einem bekannten Wirt in der Rupertgasse bringen. Dort trifft er sich mit seinen Gutachtern und Rechtspraktikanten und trinkt Weißbier. Als die beiden »Feierlichkeiten« vom 21. Jänner und 19. Februar 2004 im Jahr 2010 bekannt werden – Manfred Seiss legt Wert auf die Feststellung, es wären »Essen« gewesen, bei denen »auch ein Bier getrunken wurde« – berichten vor allem österreichische Medien darüber. Die Kronen Zeitung titelt am 17. März 2010 »›Kaprun-Feier‹ im Szenelokal«, und der Redakteur zitiert Seiss in einem Interview, das dieser jedoch nicht gegeben haben will: »Das war keine Feier, da gibt es auch nichts zu feiern. Wir sind essen gegangen. (…) Daran ist nichts Verwerfliches.«
Bei einem Interview mit der Salzburger Journalistin Sonja Wenger kommen Seiss angesichts von 155 Toten wohl doch Zweifel, und auf Nachfrage teilt er mit: »Ich verstehe, dass das auch als pietätlos angesehen werden kann, aber nach so einem Prozess geht man einfach irgendwohin, weil es gut gelaufen ist.«
Kapitel 36
Im Februar 2004 geht das Kaprun-Urteil um die Welt. Der Fakir-Heizlüfter soll durch Selbstentzündung den Brand ausgelöst haben. 155 Menschen starben, weil das Gerät einen Konstruktions- und Produktionsfehler hatte.
Ratlos erleben die Mitarbeiter der Firma Fakir, wie der Verkauf ihrer Geräte nachlässt. Das Unternehmen lässt die Produktion zurückfahren, die meisten Arbeitszeitkonten sind genauso aufgebraucht wie die Urlaubstage. Das Gespenst von betriebsbedingten Kündigungen geht um. Angst macht sich in den Familien der 400 Fakir-Mitarbeiter breit. Ungläubig liest Heinz Kicherer das den Prozess entscheidende Gutachten: »Die Ursache für die wahrscheinliche Brandentstehung im Heizlüfter der Marke Fakir, Type Hobby TLB , war ein produktionsbedingter Fehler (…) im Bereich der Aufhängung des Ventilatormotors, der zum Kippen des Heizsterns und in weiterer Folge zum Entzünden des Heizlüftergehäuses führte.«
Kicherer versteht die Welt nicht mehr. Wie können Techniker und der Wahrheit verpflichtete Gerichtsgutachter so etwas behaupten, das dann von allen wichtigen Medien übernommen und in der ganzen Welt verbreitet wird, denkt er. Auch seine treuesten Großhändler und Kunden lesen die Botschaft, dass Fakir schuld am Tod von 155 Menschen sei. Sie bestellen nicht mehr.
In einer Krisensitzung berät die Firmenleitung, wie sie auf das Urteil reagieren soll. Entwicklungsleiter Karl-Heinz Schuhmacher erhält den Auftrag, mit einem international anerkannten Sachverständigen, der bereits Kunststoffgutachten für Fakir erstellt hat, Kontakt aufzunehmen.
»Wir können dieses Urteil nur mit wissenschaftlichen und technischen Mitteln bekämpfen, aber uns läuft die Zeit davon«, sagt Kicherer zu seinen Mitarbeitern.
Das Firmenkapital schwindet, weil die Einnahmen einbrechen. Der Rufschädigung ist mit Gegenargumenten nicht beizukommen.Jetzt wird auch noch bekannt, dass die Gletscherbahnen Kaprun AG gegen Fakir eine Anzeige wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst und des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 155 Fällen erstattet hat. Was das bedeutet, ist Heinz Kicherer und seinen leitenden Mitarbeitern klar. Bei negativem Ausgang des Strafverfahrens kommen Millionenforderungen aus Österreich auf das Unternehmen zu, die niemals bezahlbar sind.
Noch einmal richtet sich Heinz Kicherer auf, er will kämpfen, er will nicht aufgeben. »Unser Hobby TLB ist eines der sichersten Heizgeräte. Wir haben nichts falsch gemacht. Vermutlich suchen die Österreicher einen Sündenbock, und der sind wir. Die Wahrheit wird sich durchsetzen, wir müssen nur die Zwischenzeit überbrücken. Macht einen Termin mit der Bank.«
Am nächsten Tag zieht Heinz Kicherer seinen dunklen Anzug an und fährt zusammen mit seinen Geschäftsführern zur Hausbank. Sie werden freundlich empfangen und erklären die Situation. Fakir benötigt ein Überbrückungsdarlehen, bis die Krise überwunden ist. Doch der Bankvorstand spricht von einem
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