155 - Kriminalfall Kaprun
Haushaltsheizlüfter in einen Zug einbauen?«
»Das fragen Sie mich?«
Falsche Frage, denkt sich Keim, nachdem sein Gegenüber kurz die Beherrschung verloren hat. Schuhmacher hat sich zum Glück schnell wieder gefasst. »Wann können Sie zu uns kommen, damit wir das eingehend erörtern?«
»Ich kann morgen um 9 bei Ihnen sein.«
»Das passt gut, ich danke Ihnen. Wir sehen uns morgen.«
Spannende Sache, denkt Keim, sehr spannend, als er wieder seine Frau rufen hört, diesmal lauter und merklich ungeduldiger als zuvor: »Jochen, komm jetzt!«
Zwei Tage später sitzt Keim wieder an seinem Schreibtisch in Stuttgart, vor sich einen Heizlüfter der Marke Fakir Hobby TLB , den er in Vaihingen an der Enz, keine zwanzig Kilometer von Stuttgart entfernt, erhalten hat. Bei Kunststoff ist der 54-Jährige in seinem Element. Er hat Kunststoff- und Produktionstechnik studiert und war zwanzig Jahre lang technischer Geschäftsführer in der Firma seines Vaters, »Hans Keim Kunststoffe GmbH«, verantwortlich für Verfahrenstechnik, Entwicklung sowie Fertigung.
Auch der Skisport ist ihm als Techniker keineswegs fremd. 1978 entwickelte er für Doppelmayr, einen österreichischen Paradebetrieb im Seilbahnbau, eigens geformte Kunststoff-Sesselliftsitze. Fünf Jahre später baute er für die gleiche Firma erstmals Sessellifthauben aus Polycarbonat, jene Kälteschutz- und Witterungsschutzvorrichtungen, die mittlerweile Standard im Komfort von Sesselliften geworden sind. 1989 macht er sich als Gutachter mit einem Ingenieurbüro und einem Prüflabor für angewandte Kunststofftechnik selbstständig.
Mit dem Fakir-Heizlüfter hat er in Vaihingen auch das zentrale Gutachten im Kaprun-Prozess bekommen, das den Produktionsund Konstruktionsfehler festgestellt hatte: »Befund und Gutachten über schadhafte Heizlüfter der Marke Fakir Hobby TLB und TUB , wie in den Zügen der Kaprun AG verwendet«, steht auf dem Deckblatt.
Acht Seiten Umfang, mit Abzug der Fotobeilage, denkt Keim, wohl mehr eine dürftige Schülerarbeit, aber mal sehen.
Fünf Minuten später hat Keim das Gutachten fertiggelesen. Er greift zum Hörer und ruft Schuhmacher an. »Herr Schuhmacher, ich bin einigermaßen sprachlos. Dieser Gutachter war womöglich noch nie in einer Kunststofffertigung oder hat sich einen Spritzgussprozess angesehen. Das will ich so nicht stehen lassen.«
»Ich bin erleichtert, dass Sie das auch so sehen.«
»Spätestens bis Jahreswechsel haben Sie mein Gutachten. Das sollte sich für die zweite Instanz locker ausgehen.«
In den nächsten Tagen bekommt Keim den Urteilsspruch vom Februar 2004 und weitere Gutachten sowie Unterlagen nach Hause geschickt. In einer Mappe entdeckt er den Genehmigungsbescheid von 1993 für den Umbau der Gletscherbahn, unterzeichnet von Ministerialrat Kühschelm: »Die elektrischen Einrichtungen der Wagen (…) sind von den Fahrgastabteilen getrennt auszuführen (…) Auf eine entsprechende Abschottung und brand- sowie rauchsichere Trennung ist zu achten.«
Das verstehe ich nicht, denkt er sich, es gab hier doch kein Gefahrenbild Brand, hat die Kommission festgestellt. Und im Baubescheid für die Züge ist von Brand- und Rauchsicherheit die Rede?
Er kann seine Neugier angesichts der Fülle an Unterlagen kaum zügeln und ackert schon die nächste Mappe durch, darin der Urteilsspruch vom 19. Februar 2004. Ihn wundert, dass der Richter stets Bezug auf die Eigensicherheit des Heizlüfters nimmt, der VDE-Zertifizierung. »Das Unglück entstand nicht durch die fehlende Eigensicherheit der Hydraulikanlage«, heißt es, »sondern durch die fehlende Eigensicherheit des Heizlüfters.«
Keim macht sich handschriftliche Notizen. »Die Zertifizierung des Heizlüfters durch die deutsche Prüfstelle VDE gilt – er wechselt auf Versalien - ausschließlich für den stationären Gebrauch in Räumen beziehungsweise für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke. Daraus folgt, es liegt keine Zulassung für Fahrzeuge vor.«
VDE überprüft prinzipiell keine Geräte, die in Fahrzeuge eingebaut werden, stellt er zudem fest, da wären ganz andere Prüfkriterienzu beachten. Er zündet sich die nächste Zigarette an, bevor er mit seinen Notizen fortfährt. »Heizlüfter wurde zerlegt. Daraus ergibt sich eindeutig, dass sämtliche Garantie- und haftungsrechtlichen Ansprüche verwirken. Diese Tatsache ist in jeder Gebrauchsanweisung beziehungsweise Garantieerklärung enthalten und auch jedem Techniker oder sogar Laien bekannt.«
In den
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