155 - Reiseziel: Mars
Ettondo Lupos nahm die Arme von der Brust, verschränkte sie auf dem Rücken und schlenderte zu dem Ranghöheren am Pult. »Mit anderen Worten: Kein Satz, den die Spezialistin und der Fremde wechseln, wird uns entgehen.«
»Sehr gut, mein lieber Ettondo, ausgezeichnet. Dann bleibt vorläufig nichts anderes zu tun, als aufmerksam die Ratssitzungen zu verfolgen, vor allem das Verhör. Danach werden wir weitersehen.« Der Patriarch griff nach einem kleinen gerahmten Standfoto und betrachtete es. »Mit dem legendären Verstand der Gonzales, mit einigen genialen Ideen und mit ein wenig Glück werden wir das Optimum für unser Haus herausholen.«
Das alte Foto zeigte eine junge, ungewöhnlich schöne Frau.
Die handschriftliche Widmung lautete:
In großer Wertschätzung. Vera Akinora. Diese Frau war verantwortlich dafür, dass er heute nicht am Raumhafen sein konnte. Er hatte sie sein Leben lang geliebt. Vergeblich.
Jahrelang hatte er unter ihrer Präsidentschaft im Rat gesessen. Bei den großen Unruhen vor dem Start zur Erdexpedition vor sieben Marsjahren war Vera Akinoras Berater und Gatte… nun ja: eines unnatürlichen Todes gestorben. Von dem Verdacht, eine Mitschuld an seinem gewaltsamen Tod zu tragen, hatte Jarro Fachhid Gonzales sich nie reinwaschen können. Obwohl man ihm nichts nachweisen konnte, war er seines Amtes enthoben worden.
Der Ratsherr Ettondo Lupos Gonzales blickte auf seinen PAC, seinen Persönlichen-Armband-Computer. »Es ist schon spät. In einer halben Stunde wird Dame Maya Joy Bericht erstatten. Ich muss gehen.« Er verneigte sich. »Einen friedlichen Tag wünsche ich dir, verehrter Jarro Fachhid.«
»Danke, danke, mein Lieber.« Der Patriarch winkte ab.
»Eines noch, Ettondo: Auf welchem Wege wirst du mich über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden halten?«
»Über den derzeitigen Bettgefährten meiner Beraterin. Er stammt aus dem Hause Braxton.«
***
Seltsam düster kam ihm der Marsmorgen außerhalb des Gleiters vor. Die Rechte ins Kinn gestützt und die Stirn nahe am Sichtfenster, lauschte Matthew Drax seinem Herzschlag.
Der hörte sich eigentlich ganz normal an. Warum dann der kalte Schweiß auf der Stirn? Nervosität?
Der Weg aus dem Cockpit zur Mittelluke und dann die Treppe hinab bis zum Gleiter war zwar nicht der Rede wert gewesen; andererseits jedoch hatte er seit mehr als drei Monaten nicht mehr so viele Schritte an einem Stück zurückgelegt.
Das Flugfeld blieb zurück, der Wald dahinter sah aus wie ein grünes Meer und schien kein Ende zu haben. Im Himmel tief über dem Horizont hing die Sonne und sah aus wie eine überdimensionale Venus in der irdischen Morgendämmerung.
Darunter, fern im Nordosten, zeichnete ihr Licht die scharfen Umrisse eines Vulkangipfels. Der Berg, von dem diese Ebene und Stadt ihren Namen hatte, der Elysium Mons?
Gebäudekomplexe glitten unter dem Fluggerät vorbei und lenkten Drax’ Aufmerksamkeit auf sich. Himmel, was für eine Architektur, was für Formen! Ein wahrer Dschungel exotischer Gebäude! Vor allem die wie lang gestreckte Spindeln aussehenden Türme faszinierten ihn. Bei genauerem Hinsehen erwiesen sich die Fassaden von spiralartig gedrehten Konstrukten verkleidet, die Matt an die Megarutschen jener Spaßbäder aus den goldenen Zeiten vor »Christopher Floyd« erinnerten.
»Wie hoch sind diese Türme?«, fragte Matt Drax, ohne sich direkt an einen seiner beiden Begleiter zu wenden. Oder sollte er sie lieber Bewacher nennen?
»Im Schnitt drei- bis vierhundert Meter« , sagte ein Mann, dessen Name der Commander nicht kannte. »Es gibt aber auch ein paar Fünfhunderter.«
Zwischen den Wolkenkratzern entdeckte der Mann von der Erde immer wieder kleinere Kuppelbauten, oder runde Terrassenhäuser. Manchmal glitt eine ausgedehnte Grünanlage unter transparenter Kuppel vorbei, manchmal pilzartige Plattformen voller Bäume, Zierteiche und Pavillons. In den Straßenschluchten glaubte er so etwas wie Fahrzeugkolonnen zu erkennen.
»Wie viele Menschen wohnen in dieser Stadt?«, wollte Matt wissen.
»Etwas mehr als sechshunderttausend.«
Die Zahl verblüffte Matt. Er hätte wetten mögen, über eine Millionenstadt zu fliegen. Doch dann erinnerte er sich, von Maya gehört zu haben, dass nur zweieinhalb Millionen Menschen auf dem gesamten Mars lebten. Vermutlich war der Regierungssitz sogar die größte der vier Städte.
Er entdeckte ein metallicblaues Fluggerät, das ihn entfernt an Zeppeline aus der ersten Hälfte des zwanzigsten
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