156 - Auf dem roten Planeten
Die weißblonde Frau wirkte ungefähr so erschöpft, wie Matthew Drax sich fühlte. Er folgte Schwarzstein auf die Baumwendelstiege; es ging abwärts. »Ihr seid verdammte Schwarzseher!«, sagte er dabei. »Ich bin ein ganz normaler Mensch, genau wie ihr, genau wie die Städter! Warum sollte ich nicht mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die du erwähnst?«
»Du täuschst dich, Maddrax.« Windtänzer kletterte über ihm. »Wir sind nicht wie sie, und schon gar nicht sind wir wie du. Wir leben in vollkommener Harmonie mit der Natur des Mars. Das Böse im Menschen – wir haben es besiegt…«
»Was seid ihr doch für ein elitäres Gesindel!«, keuchte Chandra ein paar Meter über ihnen. »Verachtet alle, die nicht so denken wie ihr…!«
»Das sagt die Richtige!« Drax lachte bitter.
»Wenn du dich nicht für die Erkenntnis der Wahrheit öffnest, wirst du den Rest deines Lebens in Gefangenschaft verbringen, Maddrax«, sagte Windtänzer unbeirrt.
»Und ich?«, rief Chandra von oben. »Was ist mit mir? Ich bin doch keine Barbarin von der kriegerischen Erde!«
»Vorläufig bist auch du unsere Gefangene, wenn auch aus anderen Gründen.«
Am Fuß des Baumes angekommen, war Matthew Drax vollkommen außer Atem.
Der Baumsprecher ordnete eine Rast an. Der Mann aus der Vergangenheit ließ sich fallen, wo er gerade stand.
Das Gelände stieg in diesem Teil des Waldes an, das Unterholz war undurchdringlich, ein wahrer Dschungel. Eine Flucht auf eigene Faust schien Matt aussichtslos zu sein.
Aquarius und Schwarzstein verschwanden im Dickicht und kehrten nach einer halben Stunde mit Früchten und Nüssen und einem Ledersack voller Wasser zurück.
»Iss und trink, Maddrax«, forderte Schwarzstein.
Matt setzte sich auf und nahm die Früchte, die der junge Exot ihm reichte. »Erzählt mir von diesem Bruderkrieg«, verlangte er. Niemand reagierte, alle konzentrierten sich schweigend auf das Essen. »Scheint ja eine peinliche Angelegenheit gewesen zu sein.«
»Sie haben sich von uns bedroht gefühlt.« Da keiner der Männer antworten wollte, ergriff Chandra das Wort. »Es ist jetzt an die hundertdreißig Jahre her…«
»Also zweihundertsechzig Erdjahre?«
»Ja, in etwa. Damals wuchs unter den Waldbewohnern eine Generation von Kindern heran, die anders waren als ihre Eltern – filigraner, naturverbundener, pigmentierter…« Chandra zuckte mit den Schultern, weil ihr die Worte fehlten. »… und verrückter, irgendwie. Sie waren mutiert, durch diese schrecklichen Käfer wahrscheinlich…«
»Tjorks sind nicht schrecklich!«, brauste Schwarzstein auf.
»Sie sind klug und nützlich, und sie gehören zu uns!«
»… vielleicht auch durch diese seltsamen Korallenbäume.«
Die Marsfrau wies auf einen mächtigen schwarzen Stamm zwischen weißen und braunen Stämmen. Er wuchs achtzig Meter entfernt, einer jener Bäume mit rostrotem Laub. »Siehst du seine Sprösslinge unter ihm?«
Matt Drax entdeckte sie – dünne hochgeschossene Pflänzchen mit grünlich grauem Stamm. Ein wenig erinnerte ihr Holz an altes, blind gewordenes Glas. Das wenige zarte Laub sah aus, als wäre es aus feuchtem, rötlichen Ton. Das kurze, verhältnismäßig dicke Geäst wuchs steil nach oben, sodass die jungen Kronen tatsächlich ein wenig an die Tentakelkrone eines Korallentieres erinnerten.
»Man sagt, die ersten dieser Bäume seien aus den Gräbern einiger Waldkinder gewachsen. Du siehst ja selbst, wie sie sich während ihres Wachstums verändern.«
Die Waldmänner kauten schweigend, während Chandra berichtete. Manchmal sahen die Jungen zu ihrem Lehrer. Der aber tat, als hörte er gar nicht zu.
»Diese Bäume, die neue Generation der Waldbewohner, und diese Käfer – sie lebten bald in einer immer enger werdenden Symbiose. Vermutlich machte unser Fortschritt ihnen Angst und sie stachelten…«
»Deine Vorfahren haben uns tatsächlich bedroht, Städterin!«, fuhr Windtänzer sie plötzlich an. »Sie hätten dem Waldvolk ihren Lebensstil, ihre Technik, ihre Denkweise aufgezwungen!«
»Ihr wart es doch, die Angst vor uns hattet!« Jetzt ergriff auch Schwarzstein das Wort. »Was nicht ist wie ihr, was nicht spricht und denkt und handelt wie ihr, macht euch doch bis zum heutigen Tag Angst!«
»Das muss ich mir nicht bieten lassen…!« Chandra stemmte die Fäuste in die Hüften und schoss mit giftigen Blicken um sich.
»Sie haben nicht gemerkt, wie sie sich veränderten.«
Windtänzer wandte sich an Matthew Drax. »Vor allem der Umgang mit
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