1563 - Blut-Geschwister
schon«, sagte Harry. »Wir werden uns das Geschwisterpaar mal genauer anschauen.«
Herr Müller schluckte. »Dann glauben Sie, dass die beiden etwas mit dem Tod meines Mitarbeiters zu tun haben?«
»Das wissen wir noch nicht, aber wir denken, dass Boris zumindest mit einem der beiden Kontakt gehabt hat.«
Wir hatten dem Chef der Senioren-Residenz nicht alles gesagt. Er wusste zwar, dass Boris nicht mehr lebte, aber dass er zu einem Vampir geworden war, davon hatte er keine Ahnung. Das war dem Leichnam ja auch nicht mehr anzusehen.
Wir hatten die Todesursache im Unklaren gelassen. Allerdings konnte er davon ausgehen, dass sein Mitarbeiter nicht eines natürlichen Todes gestorben war. Er traute sich allerdings nicht, nach Einzelheiten zu fragen, und das war in diesem Fall auch gut, denn mit der Wahrheit hätten wir ihn nur schlecht konfrontieren können.
Ich sprach ihn noch mal auf das Haus und das Geschwisterpaar an. »Haben Sie davon Kenntnis gehabt?«
Er musste überlegen. »Im Prinzip nicht«, sagte er. »Ich weiß natürlich, dass es hier in der Gegend einige einsame Schwarzwaldhäuser gibt. Manche davon sind schon recht alt und haben Museumsreife. Aber ob welche noch bewohnt sind, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Außerdem habe ich hier einen Job, der wenig mit Heimatverbundenheit zu tun hat.«
Das glaubten wir ihm gern. Wir aber waren froh, eine Spur gefunden zu haben.
Es hielt uns auch nichts mehr auf unseren Stühlen.
Als wir uns erhoben, kam Herr Müller noch mal auf die Leiche zu sprechen.
»Wir werden Ihnen helfen, sie in den Kühlraum zu schaffen. Befindet er sich auch im Keller?«
»Ja, der Zugang liegt nur ein wenig versteckt.«
»Was lagert dort?«
»Im Augenblick nichts.«
Das war schon mal positiv, denn einen Toten zwischen Lebensmitteln zu lagern war nicht gerade die ideale Lösung.
Ich aber hatte das Gefühl, dass wir auf der richtigen Schiene fuhren, und war gespannt auf die beiden Geschwister…
***
»Kannst du auch nicht schlafen, Leo?«
»Leider. Aber du hast schon geschlafen, oder?«
»Das habe ich«, flüsterte Lena. »Es ist nur so unruhig geworden in mir. Das kann ich nicht verstehen. Es muss etwas geschehen sein, Bruder.«
»Das glaube ich auch.«
»Und was?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Das Gespräch versickerte. Beide blieben im Dunkel des Kellers liegen und hingen ihren Gedanken nach.
Dass sie nicht in Ruhe hatten schlafen können, ärgerte sie. Sie brauchten die Zeit der Regeneration. Sie wollten sich erholen, während draußen helles Licht war, um bei Einbruch der Nacht mit neuer Energie zu erwachen.
Dabei war es nicht so, dass sie sich am Tage ausschließlich im Keller aufhielten. Sie gingen auch durch das Haus, wenn sie nicht schlafen konnten, nur waren die Fenster mit Außenläden verschlossen. Wenn sie Licht haben wollten, steckten sie Kerzen an.
Im Keller aber schliefen sie und regenerierten sich. Es war bisher immer gut gegangen, doch nun spürten sie, dass etwas nicht so war wie sonst, denn diese Unruhe und das damit verbundene Erwachen war nicht normal.
Etwas hatte sie aus dem Schlaf gerissen, und es war nicht ein Lichtstrahl gewesen oder etwas Ähnliches.
»Es ist etwas geschehen, Bruder!«
»Und was könnte das sein?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Aber wir sind nicht grundlos erwacht. Da war etwas.«
»Weißt du mehr, Lena?«
»Kann sein, aber ich bin mir nicht sicher. Die Unruhe ist schlimm. Sie wühlt mich auf. Ich weiß, dass etwas anders gelaufen ist als sonst.«
»Und was?«
Lena ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Ich spüre Trauer in meinem Innern«, sagte sie schließlich, »Ja, Trauer. Und sie ist es wohl auch gewesen, die mich aus dem Schlaf gerissen hat.«
»Warum spürst du die Trauer? Gibt es einen Grund?«
Lena stöhnte leise. »Es muss einen geben. Ich komme mir vor, als hätte man mir ein Stück von mir genommen.«
»Du bist noch da.«
»Ich meine auch nicht mich direkt. Etwas quält mich. Aber ich kann nicht sagen, was es ist…«
»Denk nach.«
»Es hängt mit mir und auch mit uns zusammen, Leon. Man hat es uns oder mir weggenommen. Wir wollten ja, dass es immer bei uns bleibt. Es gehörte zu uns…«
Sie schrie plötzlich auf. »Nein, nicht es, sondern er!«
»Was meinst du?«
»Unser letztes Opfer!«
Leon verstand. »Du meinst Boris?«
»Ja, ihn.«
»Und was ist mit ihm?«
Lena sprach jetzt schnell. »Ich habe ihm den Vampirkuss gegeben. Ich habe ihn ausgesaugt. Ja, so ist es gewesen. Verstehst
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