1572 - Das Ritual
anderes mit ihm vor, und darin besaß er bereits Routine.
Gallo war nicht der erste Tote, den er loswerden wollte. Er dachte an seinen flachen Nachen, den er im Schilf versteckt hatte. Der hatte ihm schon manch guten Dienst erwiesen, und das würde heute nicht anders sein.
Die Leiche auf den Nachen laden und auf den See hinausfahren. Er kannte genügend Stellen, wo er seine makabre Last loswerden konnte.
Den Toten ließ er auf dem Ufer liegen, als er durch das Schilf zu der Stelle ging, wo das flache Boot lag, an dessen Bug er ein kurzes Seil befestigt hatte, damit er es ziehen konnte.
Das Holz bog die Schilfröhre zur Seite, knickte Gräser, und Lambert lächelte, als er es geschafft hatte. Er ging an Land, legte die Leiche auf den Nachen und hob die Ruderstange an, die auf dem flachen Boot gelegen hatte.
Es war zwar noch nicht ganz dunkel geworden, aber an dieser Stelle des Sees herrschte so gut wie kein Betrieb. Hier war er noch mehr ein Biotop, dem Lambert ein totes Stück Fleisch hinzufügen wollte…
***
Der Bootsverleiher war ein grauhaariger Mann mit einem auf sein Haar farblich abgestimmten Bart. Er war von hagerer Gestalt und zudem recht unwirsch. Erst die Ausweise hatten ihn beruhigt. Es kam schließlich nicht oft vor, dass sich jemand um diese Zeit ein Boot auslieh, um auf den See hinaus zu fahren.
Dass wir das Boot auch lenken konnten, beruhigte ihn nicht. Er blieb skeptisch, nahm aber die nicht geringe Leihsumme entgegen, und danach gab er sein bestes Stück her, wie er sagte.
Das Boot war groß genug, um uns bequem Platz zu bieten. Harry Stahl hatte das Steuer übernommen. Seine Partnerin stand neben ihm, während ich es mir auf einer Bank am Heck bequem gemacht hatte und mich über das Wasser schippern ließ.
Dunkel war es noch nicht, aber die Sonne war schon recht weit gesunken. Noch schickte sie ihre Strahlen über das Wasser und vergoldete die Oberfläche.
Es hätte wirklich eine wunderschöne Fahrt in den Abend werden können.
Aber da war der Druck in mir, der nicht weichen wollte. Ich dachte an den toten Paul Köster, und es hatte vor ihm schon zwei junge Männer gegeben, die in den Selbstmord getrieben worden waren. Für mich stand einwandfrei fest, dass es jemanden geben musste, der das alles zu verantworten hatte.
Natürlich dachte ich dabei an Lambert.
Wer oder was war er?
Okay, ein Mensch, aber zugleich einer, bei dem nicht alles stimmte. Vom Aussehen her nicht und auch nicht von seiner Reaktion, als er auf mich getroffen war.
Ich holte mir das Bild noch mal vor Augen. Ich hatte sein Erschrecken erlebt und auch seinen Hass, den er mir regelrecht entgegengesprüht hatte. So etwas passierte nicht bei einem Mann, der völlig normal und von schwarzmagischen Dingen unbelastet durch das Leben schritt.
Wir hatten uns zuvor noch mal die Karte angeschaut und entschieden, uns nicht zu weit vom Ufer zu entfernen. Wenn Eva Obermaier mit ihrer Aussage richtig lag, dann musste sich der Treffpunkt am Ufer befinden, und zwar dort, wo es nicht bebaut war.
Es war die Zeit, in der sich auch die letzten Segler und Surfer zurückzogen. Wir hatten bald das Gefühl, uns fast allein auf dem Wasser zu bewegen. Es kehrte auch eine seltsame Stille ein, die man noch mehr hätte genießen können, wenn nicht das Tuckern des Motors gestört hätte. Aber daran konnte man sich auch gewöhnen.
Ich stand auf und ging zu meinen deutschen Freunden hin.
Harry lenkte. Dagmar stand neben ihm und hatte die Karte ausgebreitet, auf der sie unseren Weg verfolgte. Mit einem Kugelschreiber malte sie die Strecke dabei nach.
Ich hatte mich bereit erklärt, das Ufer zu beobachten, und Dagmar wollte natürlich wissen, ob ich etwas entdeckt hatte.
»Leider nein.«
»Schade.«
Ich hob die Schultern. »Das wird auch nicht so einfach sein. Ich denke schon, dass wir auf unser Glück vertrauen müssen. Wir sollten bei zunehmender Dunkelheit darauf achten, ob irgendwo Licht zu sehen ist, und zwar dort, wo keine Häuser stehen.«
»Wir werden sehen«, sagte Dagmar.
Ich ging wieder zurück zu meinem Platz am Heck und schaute über die weiß gestrichene Reling hinweg. Das Wasser hatte mittlerweile eine andere Färbung angenommen. Die große Helligkeit des Sommertags war vorbei. Jetzt schien die Tiefe des Sees an die Oberfläche zu steigen, um sie entsprechend einzufärben. Und so war es mir fast unmöglich, in die Tiefe zu schauen. Vielleicht einen halben Meter weit wirkte das Wasser noch gläsern, dann war es
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