1572 - Das Ritual
Verletzungen wies der Tote nicht auf. Nach einer ersten Diagnose vermutete ich, dass er ertrunken war.
Der Meinung war auch Harry Stahl, und er fügte noch eine Frage hinzu.
»Ob er freiwillig ertrunken ist?«
Das konnte ihm keiner beantworten. Es war alles möglich, nur konnte ich in diesem Fall nicht so recht daran glauben.
»Ertrunken«, murmelte ich. »Der Mann kann auch ertränkt worden sein.«
»Sicher.« Harry nickte. »Dagmar und ich kennen ihn nicht.«
»Ich auch nicht.« Natürlich war ich neugierig und wollte wissen, wen ich vor mir hatte. Deshalb begann ich mit einer Durchsuchung seiner Kleidung.
In Deutschland tragen die meisten Menschen Ausweise mit sich herum.
Ich rechnete damit, dass es auch bei diesem Mann der Fall war.
Tatsächlich hatte ich Glück. Ich fand den Personalausweis in einer schmalen Brieftasche, die ich aus der Innentasche seiner Jacke holte.
»Franz Gallo«, las ich vor und schaute meine Freunde an. »Sagt einem von euch der Name etwas?«
Kopfschütteln.
Mir sagte der Name auch nichts, aber er war nicht grundlos ertrunken oder ertränkt worden, das ahnte ich, als ich ein weiteres Papier fand, das den Mann als Privatdetektiv auswies. Es konnte sein, dass er die gleiche Spur aufgenommen hatte wie wir, und darüber sprachen wir in den folgenden Minuten.
»Dass wir ihn hier gefunden haben«, sagte Harry, »lässt darauf schließen, dass wir möglicherweise schon an der richtigen Stelle sind. Ich bin kein. Arzt, doch wenn ich mir den Mann so anschaue, dann hat er noch nicht lange im Wasser gelegen. Davon können wir ausgehen.« Er schaute mich an. »Was sagst du dazu?«
»Kein Widerspruch.«
»Und wo stieß man ihn ins Wasser?«, fragte Dagmar und konnte unsere Antwort von unseren Bewegungen ablesen, denn Harry und ich drehten uns gemeinsam nach rechts, um zu dieser Halbinsel zu blicken.
»Seid ihr sicher?«
»Ja.«
Sie lächelte. »Aber nur von eurem Gefühl her, oder?«
Ich nickte. »Beweise müssen wir uns erst noch besorgen.«
»Auf dieser Halbinsel?«
»Wo sonst?«
Meine Freunde schwiegen. Sie schauten zur Halbinsel hinüber, sahen auch den Schilfgürtel und waren der Meinung, dass das Boot ihn durchbrechen konnte.
»Das stimmt zwar«, sagte ich, »aber das hilft uns nicht.«
»Wieso?«, fragte Dagmar.
»Ganz einfach. Sollte die Halbinsel besetzt sein, wird man bereits gesehen haben, dass hier ein Boot herumschwimmt. Ich werde es anders versuchen.«
»Du willst schwimmen?«, fragte Harry. »Genau.«
Beide schauten mich überrascht an, und ich musste lachen.
»Keine Sorge, die Strecke schaffe ich schon. Und keine Widerreden.«
Ich ging auf den Steuerstand zu, wo ich ein wenig Sichtschutz hatte. Dort zog ich meine Jacke aus und legte sie über den Sitz. Die Beretta blieb am Körper, und auch das Kreuz hing weiterhin vor meiner Brust.
Ich redete nicht mehr viel, wir sprachen uns nur kurz ab, was zu tun war, dann ging ich an der der Landzunge abgewandten Seite über Bord und glitt in das kalte Wasser des Sees…
***
Der fast Vollkommene war leicht beunruhigt. Das Problem Gallo hatte er aus der Welt geschafft. Er hatte ihn dem Wasser übergeben und verließ sich darauf, dass er abgetrieben wurde. So hatte er freie Bahn, wenn seine Jünger kamen, um dafür zu sorgen, dass er seine endgültige Vollkommenheit erreichte.
Er hatte noch Zeit. Es gab auf der Halbinsel einen Lieblingsplatz, wo er sich gern aufhielt. Das war dort, wo der Schilfgürtel das Land berührte und sich einige hohe Weidenbüsche ausgebreitet hatten, die ihm Deckung gaben.
Er wurde nicht gesehen, aber er konnte sehen. Sein Blick glitt hinaus auf den See.
Er kannte sich aus. Er wusste um die Stimmungen, die am See herrschten. Morgens waren sie anders als am Nachmittag oder am Abend. Und jetzt holte der Tag zum letzten Mal Luft, um sich später der Dämmerung und der Dunkelheit zu ergeben.
Da zogen sich die Menschen zurück, die sich tagsüber auf dem See vergnügt hatten. Jetzt begann die Stunde zwischen Tag und Traum, da konnte das Gewässer durchatmen, und manchmal bildeten sich auch feine Dunstschwaden über dem Wasser.
So war es normal. Doch nicht an diesem Tag, denn plötzlich erschien ein Motorboot in seinem Blickfeld. Es tuckerte dahin, und er sah, dass es mit drei Menschen besetzt war. Eine Frau und zwei Männer.
Das gefiel Lambert nicht. Es war ungewöhnlich. Normalerweise fuhren um diese Zeit keine Motorboote mehr über diesen Teil des Sees. Warum gerade heute?
Ein Fernglas lag
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